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Zwischen „grüner Brühe“ und „Heilsbringer“ – in den Publikumsmedien machen Mikroalgen Schlagzeilen. Tatsächlich steckt dahinter eine wachsende Branche, die Inhaltsstoffe für verschiedenste Anwendungen produziert. Zahlreiche Unternehmensneugründungen bieten auch VC-Kapitalgebern interessante Optionen. Von Dr. Peter Ripplinger und Dr. Felix Krujatz
 

2021 wurden in Europa 447 Produktionsstätten für Makro- und Mikroalgen sowie die Blaualge Spirulina gezählt.[1] Während Makroalgen meist „wild“ geerntet wurden, wuchsen Mikroalgen hauptsächlich in Photobioreaktoren – bei Spirulina spp. dominierten dabei mit 83 % die Open-Pond-Systeme.[2] Allein für Spirulina finden wir in Europa über 200 Produzenten, davon die meisten in Frankreich. Bei der Produktion von Mikroalgen in Photobioreaktoren spielt Deutschland nach wie vor eine wichtige Rolle, gefolgt von den südlichen Ländern Europas. In Island sind in den letzten Jahren mehrere Produktionsanlagen entstanden, was u.a. auf die günstigen Energiekosten zurückzuführen ist. Neben dem bislang in Deutschland führenden Produktionsstandort für Mikroalgen in Klötze in der Altmark[3] ist der Bau einer Produktionsanlage für Omega-3-Fettsäuren aus Algen in Dessau geplant[4], die bei Fertigstellung die größte Photobioreaktor-Anlage weltweit sein wird.

Klasse statt Masse

Größere Investitionen bzw. Anlagen waren im ersten Jahrzehnt unseres Jahrtausends vor allem auf die Produktion von Kraftstoffen ausgerichtet. Die rein energetische Nutzung ist wegen der vergleichsweise hohen Herstellungsosten der Algenbiomasse jedoch nur für Nischen interessant (z.B. „Algenkerosin“ für die Luftfahrt). In den letzten Jahren sind eine Reihe von Unternehmen entstanden, die Mikroalgen für Lebensmittel, Futtermittel, Kosmetik oder pharmazeutische Anwendungen produzieren und damit zunehmend auf die Märkte drängen. So sind unter dem Dach der Deutschen Algen Genossenschaft eG 11 Erzeuger versammelt, die Spirulina und Chlorella als Nahrungsergänzungsmittel und für kosmetische Anwendungen anbauen.[5] Doch es wird auch weiter intensiv in der Forschung und Entwicklung gearbeitet. Kein Wunder, denn die zahlreichen Parameter, die bei der Herstellung von wertvollen Produkten mit Hilfe von Mikroalgen zu berücksichtigen sind, bieten eine enorme Vielfalt an Optimierungsmöglichkeiten.

Rohrphotobioreaktor der Firma PUEVIT. Solche Reaktoren sind unter anderem für die Produktion von Spirulina im Einsatz. Copyright: PUEVIT GmbH
Rohrphotobioreaktor der Firma PUEVIT. Solche Reaktoren sind unter anderem für die Produktion von Spirulina im Einsatz. Copyright: PUEVIT GmbH

Unerschlossene Potenziale

Das beginnt schon bei der Charakterisierung und Auswahl möglicher Produktionsstämme. Die Algen sind nach den Insekten, Pflanzen und Pilzen die viertgrößte Organismengruppe. Bis heute sind gut 50.000 Arten bekannt und von der Wissenschaft beschrieben worden.[6] Schätzungen zufolge könnte die tatsächliche Algenvielfalt in der Natur aber fast das Doppelte betragen. Ähnlich wie andere biotechnologische Produktionsorganismen können auch Mikroalgen hinsichtlich ihrer Produktivität und für die Bioprozessführung angepasst werden. Daran arbeiten in Deutschland unter anderem Forschende an den TUs in München[7] und Chemnitz[8], an den Universitäten Stuttgart und Kiel[9], an der Hochschule Anhalt[10] sowie am Fraunhofer IGB[11]. An der Universität Bielefeld[12]werden Mikroalgen-Stämme genetisch optimiert. Eines der jungen Start-ups, die solche Stämme bereits einsetzen, ist GC Lipid Tech[13] in Kanada.

Flachplatten-Airlift-Reaktor des Unternehmens Subitec ermöglichen einen stetigen Luft- und Lichteintrag für die Algenkultivierung. Copyright: Subitec GmbH
Flachplatten-Airlift-Reaktor des Unternehmens Subitec ermöglichen einen stetigen Luft- und Lichteintrag für die Algenkultivierung. Copyright: Subitec GmbH

Lichteintrag ist der Schlüssel

Ist ein geeigneter Organismus gefunden, braucht er das richtige Produktionsumfeld. Für Wachstum und Wertstoffproduktion benötigen Mikroalgen Wasser, Licht, CO2 und Nährstoffe. Inzwischen sind diverse unterschiedliche Photobioreaktor-Systeme auf dem Markt erhältlich, vom Single-Use-„Beutel“ und Folienreaktoren (z.B. Proviron/BE[14]und algatec/D[15]) über Rohrsysteme, die dank mobiler Extrusionsanlagen vor Ort in der gewünschten Länge hergestellt werden (z.B. Algoliner/D[16]), modulare Containeranlagen (z.B. PUEVIT/D[17]) bis hin zum „Tannenbaum-Reaktor“ (z.B. Gicon/D[18]), Flachplatten-Airlift-Reaktoren (z.B. Subitec/D[19]) sowie diversen Anbietern von Röhrenreaktor-System (z.B. Varicon Aqua/UK[20]) und Lgem/NL[21]). Beim Design der Reaktoren kommen vor allem dem Lichteintrag und der Begasung entscheidende Bedeutung zu. Um Produktivitätsverluste durch die gegenseitige Abschattung der Mikroalgen zu verhindern, muss der Durchmesser bzw. die Tiefe der Reaktoren begrenzt sein und/oder für eine ständige Durchmischung gesorgt werden.17[17]

Algabag-Reaktor des Unternehmens algatec. Copyright: algatec GmbH
Algabag-Reaktor des Unternehmens algatec. Copyright: algatec GmbH

Mikroalgen haben außerdem ein großes Potenzial für die Realisierung von Koppelprozessen und eignen sich wie wenige andere Produktionsorganismen zur „Verwertung“ von CO2 aus industriellen Punktquellen. Das können CO2-Ströme aus der Biogasproduktion sein, aber auch aus Gärprozessen in der Lebensmittelherstellung oder prozessbedingte CO2- Emissionen wie etwa aus der Zementindustrie. Als Geschäftsmodell sind solche Prozesse insofern besonders interessant, als nicht nur die hergestellten Produkte vermarktet, sondern über die CO2-Bindung auch CO2-Zertifikate eingespart werden können.

Mikroalgen als Geschäftsmodell

Was vor einigen Jahren noch Denkmodelle waren, ist mittlerweile Realität: Die dezentrale Algenproduktion auf dem Bauernhof, idealerweise gekoppelt mit den Stoff- und Energieströmen, die in der Landwirtschaft ohnehin zur Verfügung stehen. Energie kommt aus der Biogasanlage, Wertstoffe wie Nahrungsergänzungsmittel können kommerziell vermarktet werden, die Restbiomasse geht in die Tierfütterung. Für Landwirte ergibt sich daraus nicht nur eine gute Verwertungsmöglichkeit für Nebenströme, sondern auch ein zusätzliches kommerzielles Standbein.

Da dabei offene Kultivierungsbecken im Gewächshaus eingesetzt werden können, halten sich die Kosten und der technische Aufwand in Grenzen; allerdings schränkt dies auch die Produktpalette ein. Derzeit liegt der Fokus meist auf der Produktion von Spirulina, die getrocknet und als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden; einige Hersteller gehen in der Verarbeitung aber auch schon einen Schritt weiter und vermarkten einzelne Inhaltsstoffe wie den blauen Lebensmittelfarbstoff Phycocyanin. Nach wie vor gilt, dass sich Mikroalgen als Produktionsorganismen dort gut einsetzen lassen, wo eher niedrigvolumige, aber hochpreisige Produkte im Fokus stehen – unbenommen davon kann die Restbiomasse natürlich ebenfalls wertschöpfend genutzt werden.

Algenbioreaktoren lassen sich gut in landwirtschaftliche Umgebungen integrieren und sorgen für eine optimierte Nutzung von Restströmen aus Biomasse, aber auch aus Abwasser. Copyright: Algenwerk
Algenbioreaktoren lassen sich gut in landwirtschaftliche Umgebungen integrieren und sorgen für eine optimierte Nutzung von Restströmen aus Biomasse, aber auch aus Abwasser. Copyright: Algenwerk, einer Marke der PUEVIT GmbH

Vielfalt an Anwenderbranchen

Was macht – neben spezifischen bioaktiv wirksamen Substanzen – Mikroalgen wirtschaftlich interessant? Im Vergleich zu Landpflanzen benötigen Mikroalgen nicht nur deutlich weniger Fläche und keine fruchtbaren Böden. Es besteht also anders als bei anderer Biomasse keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Auch die Verarbeitung der Mikroorganismen ist weniger aufwändig als bei Pflanzen, von denen sich häufig nur Fruchtstände nutzen lassen und viel Masse in Form von Blättern oder Stängeln als Reststrom anfällt. Im Vergleich zu anderen Mikroorganismen gelten viele Algensorten als „GRAS“ („generally recognized as safe“) und sind damit für die Produktion von Lebens- und Arzneimitteln ohne aufwändige Zulassungsverfahren einzusetzen. Typische Produkte sind Carotinoide (Astaxanthin, Fucoxanthin, beta-Carotin), Omega-3-Fettsäuren, Farbstoffe wie das Phycocyanin, aber auch Proteine und Fette bzw. Öle für unterschiedlichste Anwendungen in der Lebensmittel-, Kosmetik- und anderen Branchen sowie Inhaltsstoffe mit pharmazeutischer Wirkung.

Vermarktung als Ganzes

Ein erheblicher Teil der heute am Markt verfügbaren Algenprodukte verzichten auf eine Isolierung dieser Inhaltsstoffe und bestehen aus der vollständigen getrockneten Alge, z.B. Spirulina. Dabei geht es meist um Nahrungsergänzungsmittel und damit einen nach wie vor stark wachsenden Markt; das Marktforschungsunternehmen Mintel rechnet bis 2028 mit einem Umsatzplus von 15 % auf dann 2,05 Milliarden Euro in Deutschland.[22]

Ein weiterer wichtiger Treiber, der sich auch in einer signifikanten Zahl von Unternehmensgründungen niederschlägt, ist die fleischarme, vegetarische und vegane Ernährung. Makro- und Mikroalgen gelten dabei als vielversprechende Lieferanten von Spurenstoffen, aber auch von Proteinen und Fetten, speziell Omega-3-Fettsäuren. Für Burger, Fleischersatzprodukte und ähnliches wird ebenfalls die Biomasse vollständig verarbeitet; zu den Anbietern zählt u.a. Viva Maris.[23]

Dass sich mit Mikroalgen Geld verdienen lässt, zeigt eine Marktstudie von The Insight Partners von 2020: Demnach hatte der globale Markt 2020 ein Volumen von über 1,5 Milliarden US$ mit einem erwarteten durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 7,8 % bis 2028. Dabei macht laut Analysen des Instituts der europäische Markt den größten Anteil aus.[24]

Hochpreisige Nischen

Die Isolierung von Inhaltsstoffen lohnt sich für hochpreisige Produkte, z.B. für Astaxanthin, beta-Carotin oder Phycocyanin, die als Antioxidantien und Lebensmittelfarbstoffe dienen. Angaben für Marktgrößen dieser Substanzen variieren stark, generell wird aber ein Wachstum von um 3,5 % in den nächsten Jahren erwartet.[25] Dabei sind die vielversprechenden Forschungsarbeiten im Bereich Pharmazeutika noch nicht berücksichtigt, Gerade dort verspricht die Vielfalt der verfügbaren Stämme, die bei weitem noch nicht alle charakterisiert sind, enorme Potenziale. Für die Pharma- und gesundheitsorientierte Lebensmittelindustrie liegt der Reiz von Algen in ihrer Chemodiversität mit teils einzigartigen Verbindungen, die im menschlichen Körper antivirale, antientzündliche, antioxidative und tumorsupressive Wirkungen entfalten. Vor allem an der Hochschule Anhalt wird u.a. intensiv an der Isolation und Charakterisierung antiviraler Proteine aus marinen Mikroalgen geforscht.[26]

Tummelplatz für Start-ups

Viele der „Newcomer“, die in der jüngsten Vergangenheit auf sich aufmerksam gemacht haben, zielen auf Anwendungen im Lebensmittelbereich. AIProtein[27] (in Kooperation mit dem ProVeg Incubator, Berlin) und Phycom[28]aus den Niederlanden, das im letzten Jahr 9 Millionen Euro Wachstumskapital einsammeln konnte, arbeiten an der Entwicklung funktionaler veganer Lebensmittel auf Mikroalgenbasis. Axabio[29] aus Belgien reiht sich in die Riege der Astaxanthin-Produzenten ein, während Edonia[30] aus Frankreich sich für sein Geschäftskonzept zur Produktion von Protein für pflanzliche Fleischalternativen gerade eine Finanzierung von 2 Millionen Euro sichern konnte. Zahlreiche weitere Start-ups buhlen aktuell um Seed- und Wachstumskapital – kein Wunder angesichts prognostizierter Wachstumsraten von ca. 9 % jährlich in den kommenden Jahren.[31]

Für Investoren, die neben der Rendite auch auf Nachhaltigkeit achten, bietet die boomende Start-up-Szene Möglichkeiten in nahezu jeder Phase und Größenordnung. Wer sein Geld in der Mikroalgen-Branche anlegen möchte, findet international einige börsennotierte Unternehmen z.B. in Kanada, Japan oder Frankreich, die Produkte aus Mikroalgen herstellen (möchten). Auch Technologieanbieter für die Algenkultivierung sind teils an internationalen Börsen gelistet. Wer innerhalb Deutschlands als Investor aktiv werden will, kann sich an Venture-Capital-Fonds beteiligen oder als Business Angel aktiv werden. Insgesamt gilt: die Branche ist noch sehr jung und entsprechend risikobehaftet. Angesichts der Breite der Zielmärkte und deren Wachstum können Investitionen in Mikroalgen aber spannende Zukunftschancen bieten.

Zu den Autoren:

Dr. Peter Ripplinger
Dr. Felix Krujatz

Dr. Peter Ripplinger, Lifescience Consult, und Dr. Felix Krujatz, TU Chemnitz, sind Vorsitzender bzw. Vorstandsmitglied der DECHEMA-Fachgruppe Algenbiotechnologie. Die Fachgruppe mit rund 130 Mitgliedern aus Wissenschaft und Industrie widmet sich Algen als klimafreundlichen Produzenten von Wert- und Wirkstoffen und deckt dabei die gesamte Wertschöpfungskette von der Stammentwicklung bis zur industriellen Produktion ab. Mehr Informationen unter dechema.de/DECHEMA_Algen

Quellen/Verweise:

[1] https://knowledge4policy.ec.europa.eu/bioeconomy/algae-production-industry-europe_en
[2] https://www.frontiersin.org/journals/marine-science/articles/10.3389/fmars.2020.626389/full
[3] https://www.investieren-in-sachsen-anhalt.de/erfolgsgeschichten/alleskoenner-mit-enormem-potenzial
[4] https://www.mz.de/lokal/dessau-rosslau/algenfabrik-dessau-algaecytes-investition-biotechnologie-omega3-energieeffizienz-archaeologie-3793403
[5] https://www.deutsche-algen.de/
[6] https://www.algaebase.org/
[7] https://www.ch.nat.tum.de/wssb/news/
[8] https://newfoodsystems.de/projekte/enable/
[9] https://blaue-biooekonomie.de/de/ueber-uns/bams-innovationsraum
[10] https://www.hs-anhalt.de/hochschule-anhalt/einrichtungen/institute/center-of-life-sciences/algenbiotechnologie-cab.html
[11] https://www.igb.fraunhofer.de/de/forschung/algenbiotechnologie.html
[12] https://aktuell.uni-bielefeld.de/2024/10/30/mikroalgen-fuer-nachhaltige-treibstoffe/
[13] https://lipidtech.ca/
[14] https://proviron.com/microalgae/
[15] https://www.algatec.de/
[16] https://www.algoliner.de/
[17] https://puevit.com/
[18] http://www.gaet.gicon.com/de/produkte-leistungen/mikroalgen-kultivierung/giconr-photobioreaktor.html
[19] https://subitec.com/technologie/flat-panel-airlift-reaktoren/
[20] https://www.variconaqua.com/
[21] https://lgem.com/
[22] https://www.mintel.com/de/press-centre/deutscher-markt-fuer-nahrungsergaenzungsmittel-auf-ununterbrochenem-wachstumskurs/
[23] https://www.viva-maris.de/
[24] https://www.theinsightpartners.com/de/reports/microalgae-market
[25] https://www.marketresearchfuture.com/de/reports/natural-antioxidants-market-5129https://www.wiseguyreports.com/de/reports/antioxidant-330-markethttps://www.vantagemarketresearch.com/de/industry-report/food-antioxidants-market-0988?srsltid=AfmBOorlcB6j4HnFR5AFPO9ebHdtTPz3L3nJDtANSpnB4MpX8O26MEth
[26] https://www.hs-anhalt.de/hochschule-anhalt/angewandte-biowissenschaften-und-prozesstechnik/forschung/forschungsgruppen/kompetenzzentrum-algenbiotechnologie/forschung/alex.html
[27] http://www.alprotein.tech/
[28] https://phycom.eu/
[29] https://axabio.com
[30] https://www.edonia.eu/
[31] https://www.rolandberger.com/en/Insights/Publications/Bloom-or-bust-Unpacking-the-growth-potential-of-the-algae-market.html

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at  | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.