Die Pharmaindustrie unterstützt einen umfassenden Ansatz zur Reduzierung der Bildung von Antibiotikaresistenzen, der neben einem Fokus auf Strategien zur Vermeidung des Einsatzes von Antibiotika und der Erforschung neuer antibiotischer Wirkprinzipien auch die Weiterentwicklung bekannter antibiotischer Wirkstoffe verfolgt. Von Dr. Martin Zentgraf
Antibiotika haben sich seit der Einführung der Sulfonamide Ende der 1930er und besonders von Penicillin in den 1940er-Jahren zu einem der Grundpfeiler der modernen Medizin entwickelt.
Der Wettlauf gegen die Resistenzen
Allerdings wird die erfolgreiche Behandlung bakterieller Infektionen immer schwieriger. In den vergangenen Jahren traten immer mehr antibiotikaresistente Infektionserreger auf. Dies ist ein natürlicher Vorgang: Die Evolution von Lebewesen basiert auf meist zufällig auftretenden Mutationen. Durch ihre häufig schnelle Vermehrung sind Bakterien besonders anpassungsfähig. In Umgebungen, in denen sie durch Antibiotika systematisch bekämpft werden, setzen sich daher Erreger durch, die dagegen resistent sind.
Vor diesem Hintergrund ist es von zentraler Bedeutung, Antibiotika nur dort einzusetzen, wo sie auch wirken können. Der breite Einsatz, auch bei meist durch Viren verursachten Erkältungskrankheiten, gegen die Antibiotika wirkungslos sind, ist gefährlich und fördert die Resistenzbildung. Diese wird zudem durch fehlende oder schlechte Infektionskontrollen und schwache Diagnostiktests beschleunigt.
Antibiotikaresistenzen entstehen auch durch den Einsatz von Antiinfektiva in der Tierhaltung. Maßnahmen zur Verhinderung von Resistenzen dürfen daher nicht auf die Humanmedizin beschränkt werden, sondern müssen auch die Tiermedizin berücksichtigen.
Tragische Folgen
Umso tragischer ist es, dass die Zahl der Neuentwicklungen von Antibiotika seit den 1970er-Jahren abgenommen hat. Daher fehlen insbesondere Antibiotika gegen multiresistente gramnegative Erreger schon jetzt im Alltag von Praxis und Klinik.
Die Zahl der Todesfälle in der Humanmedizin, die unmittelbar auf Infektionen mit resistenten Bakterien zurückzuführen sind, wird allein in den USA und Europa auf 48.000 pro Jahr geschätzt.1 Weltweit könnten es nach weiteren Schätzungen 700.000 Menschen sein.2
Die Entwicklung von Antibiotika mit neuem Wirkmechanismus ist wissenschaftlich schwierig und kostenaufwendig, zumal die Forschungsaktivitäten der Vergangenheit die vergleichsweise leicht auffindbaren antibiotisch wirkenden Stoffklassen identifiziert haben dürften.
Nur noch wenige pharmazeutische Unternehmen können es sich leisten, in Forschung und Entwicklung (F&E) neuer Antibiotika zu investieren. Verglichen mit den hohen Entwicklungskosten sind die Aussichten für die Refinanzierung der Investitionen bei Antibiotika gering, da die neuen Wirkstoffe lediglich über einen kurzen Zeitraum und/oder als Reserveantibiotika nur selten eingenommen werden.
Die Tatsache, dass die meisten eingesetzten Antibiotika seit Langem bekannt sind, wirkt sich hemmend auf die Entwicklung aus. Denn diese Wirkstoffe unterliegen damit den Erstattungsregelungen für generische Arzneimittel und erwirtschaften daher nur geringe Erträge. Der „Generationenvertrag“ der Arzneimittelentwicklung, dass die Arzneimittel von heute durch ihre Gewinne die finanziellen Mittel für die Entwicklung der Arzneimittel von morgen erwirtschaften, ist hier durchbrochen: Unternehmen fehlt damit die wirtschaftliche Grundlage für Investitionen.
Aufgaben der Pharmaindustrie
Nach Angaben der internationalen Vereinigung pharmazeutischer Hersteller und Verbände (IFPMA) befanden sich 2015 34 antibakterielle Wirkstoffe (inkl. 15 Impfstoffe) in der Entwicklung. In Deutschland werden laut Schätzungen der Industrie zwischen den Jahren 2011 und 2020 18 neue Antibiotika auf den Markt kommen, die zum Teil gegen bislang resistente Keime wirken.3 Die Zahl der Neuzulassungen hat sich in den letzten Jahren damit im Vergleich zu den Vorjahren erhöht.
Auch mittelständische Unternehmen, die häufig ein breites generisches Arzneimittelportfolio haben, investieren in die Weiterentwicklung bewährter Wirkstoffe in neue Indikationen: Die beiden in der Fachliteratur gebräuchlichen englischen Begriffe für die Suche nach neuen Anwendungsgebieten sind „Repositioning“ oder „Repurposing“. Einige Beispiele für Repositioning/ Repurposing sind das Antimykotikum Ciclopirox, cholesterinsenkende Statine4, Gallium enthaltende Krebsmittel (gegen multiresistente Keime), 5-Fluorouracil (antibiotisch und antiviral wirkend)5 und Mitomycin C gegen persistierende Acinetobacter-baumannii-Infektionen.6
Neue Antibiotika in der Patientenversorgung nur möglichst selten einzusetzen, steht allerdings im Widerspruch zur für die Hersteller notwendige Finanzierung von Forschungsaufwendungen. Hier bedarf es seitens Gesetzgeber und Selbstverwaltung neuer Ansätze für eine angemessene Erstattung.
Weitere wirksame Maßnahmen
Als Bestandteil eines Gesamtkonzepts zur Reduzierung der Antibiotikaresistenzen geht es auch darum, einen zu frühzeitigen Einsatz bei einfachen Infektionen zu verhindern und Antibiotika nicht in Fällen einzusetzen, in denen diese nicht indiziert sind, weil die zugrundeliegende Infektion zum Beispiel durch ein Virus bedingt ist.
Die Einbeziehung von Phytopharmaka, Homöopathika, Anthroposophika und mikrobiologischen Arzneimitteln in die medikamentöse Behandlungs- und Prophylaxestrategie bei Infekten kann zudem einen Beitrag leisten, um Antibiotika effizient und gezielt nur bei Krankheiten einzusetzen, die durch Bakterien verursacht werden.
1) Gutachten für die Deutsche Guard-Initiative: Breaking through the Wall – Förderung der Forschung & Entwicklung von Antibiotika in Wissenschaft und Industrie, Boston Consulting Group, Oktober 2015.
2) Bericht zu den Ergebnissen des Pharmadialogs. Bundesministerium für Gesundheit, 12.04.2016.
3) Pharmazeutische Zeitung online, 17.11.2016, www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=66225 (Februar 2017).
4) Drug repurposing as an alternative for the treatment of recalcitrant bacterial infections, Rangel-Vega et al.: Frontiers in Microbiology, April 2015, Volume 6, Article 282 (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4391038/pdf/fmicb-06-00282.pdf , Februar 2017)
5) Repurposing of Anticancer Drugs for the Treatment of Bacterial Infections, Soo et al.: Curr Top Med Chem. 2016 Sep 30.
6) Repurposing the anticancer drug mitomycin C for the treatment of persistent Acinetobacter baumannii infections. Cruz-Muñiz et al.; Int J Antimicrob Agents. 2017 Jan;49(1):88-92. doi: 10.1016/j.ijantimicag.2016.08.022. Epub 2016 Oct 7 (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/27939675, Februar 2017)
ZUM AUTOR
Dr. med. Martin Zentgraf ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI e.V.) und Sprecher der Geschäftsführung der Desitin Arzneimittel GmbH. Er arbeitete zuvor unter anderem bei Byk Gulden Lomberg (heute Takeda), Glaxo, Pfrimmer-Viggo und REHAU.
Autor/Autorin
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