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HealthTech For Care (HTFC) ist ein Stiftungsfonds, der sich für Initiativen zur Förderung eines gerechten Zugangs zur Gesundheitsversorgung für europäische Patienten und für Innovationen im Gesundheitswesen einsetzt. Zu den Aktivitäten des HTFC gehört die alljährliche Organisation der Healthtech Innovation Days (HTID), die Mitte September zum 6. Mal in Paris stattfanden. Das Event soll eine Plattform für Unternehmen und Stakeholder sein, die Innovationen schneller in den Gesundheitsmarkt bringen soll.

Wie junge Unternehmen sich zur Erfüllung dieser Mission besser aufstellen können, darüber sprachen wir anlässlich der HTID mit HTFC-Chairman Pierre Courteille sowie Elsy Boglioli, Governance-Expertin des HTFC. Pierre Courteille ist Mitgründer und Chairman von HealthTech For Care sowie Chief Business Officer des Biotech-Unternehmens Abivax. Elsy Boglioli ist Board-Mitglied von HealthTech For Care sowie Gründerin und CEO von Bio-Up, eine Strategieberatung für Biotech-Unternehmen.

Plattform Life Sciences: Sie haben auf dem HTID über Governance als entscheidendes Element für den Erfolg europäischer Unternehmen im Bereich der Gesundheitstechnologie gesprochen. Warum erachten Sie gerade Governance nicht nur für börsennotierte Unternehmen, sondern auch für Start-ups als einen entscheidenden Faktor?

Pierre Courteille
Pierre Courteille

Courteille: Gute Corporate Governance ist aus unserer Sicht ein Grundpfeiler für die positive Entwicklung eines Unternehmens. Es ist damit auch eine wichtige Voraussetzung für das erfolgreiche Einwerben von Finanzierungen oder die Umsetzung von Innovationen.

Der erste Blick geht dabei natürlich auf das Management: Es ist wichtig, dass es nicht nur gut in der Forschung und Entwicklung ist. Es muss auch über die Fähigkeit verfügen, ein Unternehmen zu führen und die selbst gesetzten Ziele zu verwirklichen. Natürlich können in einem jungen Team und bei begrenzten finanziellen Mitteln nicht alle wichtigen Funktionen von Anfang an vollständig abgedeckt werden. Das Führungsteam eines Biotech-Start-ups verfügt wissenschaftliche und technische Fachkenntnisse. Es kann aber zum Beispiel nicht alle finanziellen, regulatorischen und mit der Produktion und Entwicklung eines Arzneimittelkandidaten verbundenen Aspekte beherrschen.

Genau hier kommt das Board ins Spiel. Die Zusammensetzung und die Rolle eines Beirats oder Aufsichtsrats sind wichtige Marker für das gute Funktionieren eines Unternehmens.

Worauf kommt es aus Ihrer Sicht beim Board an?

Elsy Boglioli
Elsy Boglioli

Boglioli: Der Aufsichtsrat sollte nicht allein unter dem Gesichtspunkt gesehen werden, dass Investoren dort ihre Vertreter einsetzen, um den Gründern möglichst genau auf die Finger schauen zu können. Vielmehr sollte ein Board oder Beirat so zusammengesetzt sein, dass er das Management bei den Aspekten, die am weitesten von den eigenen Kernkompetenzen entfernt sind, unterstützt und eng mit ihm zusammenarbeitet. Es sollte also für die Entwicklung des Unternehmens einen echten Mehrwert liefern.

Beiratsmitglieder können durch ihre Erfahrung, ihre Fähigkeiten und ihre Verbindungen erhebliche Vorteile für die Start-ups schaffen. Sie sollten sich nicht nur als Aufseher sehen, sondern für ein ambitioniertes Managementteam wertvolle Partner und Unterstützer sein. Zu den konkreten Aspekten gehören ein unabhängiger Vorsitzender und unabhängige Mitglieder. Das Formieren von Ausschüssen für Finanzen, Risikomanagement, Regulierung oder strategische Entwicklung und die Organisation nach dem Vorbild eines börsennotierten Unternehmens sind auch schon vor einem Börsengang sinnvoll.

Wichtig ist das Einbeziehen von Experten, deren Fachwissen für die Entwicklung der eigenen Pipeline von Bedeutung ist. Hier ist es entscheidend, innerhalb dieser Gremien für große Transparenz zu sorgen. Nur so lässt sich das Expertennetzwerk der Board-Mitglieder einsetzen, wenn es gebraucht wird.

Wie finden jungen Unternehmen die passende Besetzung für ihren Beirat?

Boglioli: Junge Unternehmen verlassen sich weitgehend auf ihr Netzwerk, und das zu Recht, denn es ist wichtig, Vertrauen zu haben. Man sollte jedoch darauf achten, den Verwaltungsrat nicht nur aus „Namen“ zusammenzusetzen, die in der Branche bekannt sind. Ein Verwaltungsrat wird sorgfältig um unterschiedliche, sich ergänzende Profile herum aufgebaut, die das Kollektiv und den Erfolg des Unternehmens fördern; alle arbeiten an einem gemeinsamen Ziel mit.  Über das Netzwerk hinaus finde ich es interessant, einen Personalvermittler hinzuzuziehen, der in der Lage ist, die Art des fehlenden Fachwissens zu erkennen und gleichzeitig die menschliche Dimension zu berücksichtigen.

Warum mangelt es Ihrer Meinung nach in europäischen Unternehmen oft an einer guten Governance, und sehen Sie einen Unterschied zu den Mitbewerbern in den USA?

Courteille: In europäischen Unternehmen haben viele Aufsichtsräte nicht genügend unabhängige Mitglieder und rekrutieren sich ausschließlich aus ihren Investoren. Andere wiederum haben unabhängige Mitglieder mit nur geringer Board-Erfahrung. Infolgedessen sind in Europa Aufsichtsräte oft eher schwerfällige Gremien, denen Bericht erstattet werden muss, obwohl sie eigentlich agile Systeme zur Unterstützung des Unternehmens sein sollten. In den USA unterstützen sich Board und das Executive Management in der Regel gegenseitig. Sie arbeiten zusammen, um ihre Erfahrungen und Fähigkeiten zum Vorteil des Unternehmens zu nutzen.

Wenn ein Führungsteam seinem Board vertraut und das Board konstruktives Feedback und Unterstützung bereitstellt, wird ein Unternehmen viel stärker und ist besser in der Lage, schwierige Zeiten und Krisen zu meistern.

Außerdem gibt es in Europa ein kulturelles Problem: Wir erkennen nicht den Wert eines starken Aufsichtsrats und vergüten die Mitglieder nicht ausreichend. Dies führt zu einem negativen Trend, da wir nicht in der Lage sind, die besten Personen zu verpflichten. So zahlen börsennotierte Biotech-Unternehmen in den USA unabhängigen Vorstandsmitgliedern etwa eine doppelt so hohe Vergütung.

Wie können gute Governance-Strukturen konkret zur Verbesserung der Finanzierungsbedingungen eines einzelnen Biotechs oder der gesamten Branche beitragen?

Courteille: Gute Governance-Rahmenbedingungen helfen dabei, die betriebliche Effizienz zu erhöhen und ein nachhaltiges Wachstum zu unterstützen. Die Life Sciences-Industrie ist ein komplizierter Wirtschaftszweig mit langen Entwicklungszeiten. Daher kommt es gerade in Unternehmen in dieser Branche umso mehr darauf an, über einen starkes, unterstützendes und mit vielfältigen Fähigkeiten zusammengesetztes Board zu verfügen.

Aber natürlich kann auch der beste Beirat ein Unternehmen nicht aus jeder komplexen Situation retten, aber er kann in bestimmten Phasen Investoren die Solidität des Unternehmens und seine Grundlagen vermitteln und somit ein positives Element bei der Kapitalbeschaffung darstellen.

Wir betreiben in Europa an den unterschiedlichsten Standorten Spitzenforschung in vielen Disziplinen. Ein Vorteil, den Unternehmen aus dem Life Sciences-Sektor in den USA gegenüber ihren Mitbewerbern aus Europa haben, ist jedoch das deutlich entwickeltere Ökosystem. Wir benötigen in Europa im Biotech- und Healthtech-Sektor eine umfassendere Fachkompetenz, beispielsweise wenn es um das Business Development geht. Wir sollten Experten und Top-CEOs in den USA anwerben, die großartige Unternehmen aufgebaut haben und diese dann bitten, Europäer zu schulen und unseren eigenen Talentpool aufzubauen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Urs Moesenfechtel.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at  | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.