Im vergangenen Jahr haben im Healthcare-Sektor Firmenzusammenschlüsse und Übernahmen (M&A) mit einem weltweiten Volumen von 283,4 Mrd. USD stattgefunden. Das war immerhin der dritthöchste Wert seit 2001, aber nichts im Vergleich zum Jahr zuvor. 2015 belief sich das globale M&A-Volumen auf 392,4 Mrd. USD. Der Rückgang lag 2016 somit bei rund 30%. Von Mario Linimeier
Hauptgrund für die rückläufigen M&A-Aktivitäten waren neue steuerliche Regelungen, mit denen Washington etwa die Übernahme von Allergan durch Pfizer verhindert hatte. Wäre der Deal zustande gekommen, hätte das globale M&A-Volumen im Healthcare- Bereich einen neuen Rekord erzielt. Jetzt könnten es erneut steuerliche Änderungen sein, die die M&A-Aktivitäten beeinflussen – nur in die andere Richtung.
Viel Geld gebunkert
Zum einen will die Trump-Administration die Unternehmenssteuern in den USA spürbar senken. Alle Details sind zwar noch nicht bekannt, es ist aber absehbar, dass die Healthcare-Unternehmen überdurchschnittlich profitieren würden, da sie in den Vereinigten Staaten zu den größten Steuerzahlern zählen. Zum anderen will Trump die Steuern für Cashbestände massiv reduzieren, die US-Firmen aus dem Ausland in die USA zurückholen. Allein die sechs großen US-Pharmakonzerne Johnson & Johnson, Merck & Co., Pfizer, Bristol-Myers Squibb, AbbVie und Eli Lilly bunkern zusammen fast 100 Mrd. USD liquide Mittel außerhalb der Landesgrenzen. Sollte das Geld wieder in die USA fließen, würde Big Pharma sicherlich einen nennenswerten Teil davon für Übernahmen verwenden.
Enormer Bedarf an innovativen Produkten
Allerdings haben handwerkliche Fehler der neuen Regierung vor allem bei der Gesundheitsreform Zweifel aufkommen lassen, dass Trump tatsächlich seine Steuersenkungspläne durchsetzen kann. Ein Hauptproblem ist die hohe Staatsverschuldung, die durch Steuersenkungen wahrscheinlich weiter steigen würde, was vielen Republikanern nicht passen dürfte. Doch selbst wenn es nicht zu den angekündigten Steuererleichterungen kommt, dürfte sich das M&A-Karussell schon bald wieder schneller drehen. Denn vor allem bei den großen Arzneimittelherstellern herrscht ein enormer Bedarf an innovativen Produkten. Die wesentlichen Gründe dafür sind Patentabläufe und Pipeline-Lücken, die für eine permanente Umsatzerosion sorgen.
Beispiel Gilead: Das Biotech-Unternehmen hatte von 2013 bis 2015 mit der Vermarktung der bahnbrechenden Hepatitis-C-Medikamente Sovaldi und Harvoni ein gigantisches Umsatzwachstum verzeichnet. Jedoch sind die Verkaufserlöse seit 2016 aufgrund zunehmender Konkurrenz rückläufig. Außerdem heilen die Hepatitis-C-Therapeutika von Gilead einen Großteil der Patienten, sodass der verbleibende Kundenpool immer kleiner wird. Der medizinische Erfolg von Gilead wird gewissermaßen zum wirtschaftlichen Bumerang. Der Konzern sitzt auf riesigen Cash-Reserven, hat aber in Relation zur aktuellen Umsatzbasis wenige nennenswerte neue Therapien in der Pipeline. Dementsprechend erwarten viele Investoren, dass Gilead neue Produkte zukaufen wird.
Gilead ist kein Einzelfall. Den großen Pharma- und Biotech-Konzernen gehen bereits seit Jahren permanent Marktanteile verloren, weil sie Patentabläufe nicht in einem ausreichenden Umfang durch neue Blockbuster-Therapien ersetzen können. Daher sind sie insbesondere bei Unternehmen mit Produkten mit Seltenheitswert bereit, hohe Übernahmeprämien zu zahlen. Denn Firmen, die innovative, bereits in klinischen Studien validierte Therapien mit klarer Wettbewerbsdifferenzierung entwickeln, verfügen aufgrund einer Quasi-Monopolstellung über eine sehr hohe Preissetzungsmacht und sind damit wirtschaftlich attraktiv.
Potenzielle Übernahmekandidaten
Zwei Arzneimittelhersteller, die sich im von Medical Strategy beratenen Fonds Medical BioHealth-Trends befinden, werden in der Presse aktuell als potenzielle Übernahmekandidaten gehandelt. Erstens könnte Gilead möglicherweise Incyte schlucken. Das amerikanische Biotechnologie-Unternehmen entwickelt schwerpunktmäßig Wirkstoffe zur Behandlung von Krebs und entzündlichen Krankheiten. Das Hauptprodukt Jakafi, ein JAKInhibitor, ist bereits zur Therapie der Knochenmarkerkrankungen Myelofibrose und Polycythaemia vera in den USA und Europa zugelassen.
Darüber hinaus entwickelt Incyte im Rahmen einer Kooperation mit Merck den IDO1-Enzym-Hemmer Epacadostat, der im Wesentlichen eine Immunreaktion gegen Krebszellen stimulieren soll. Die Wirksamkeit des Prüfpräparates wird derzeit in einer Phase 3-Kombinationsstudie mit dem PD1-Checkpoint-Inhibitor Keytruda als Erstlinientherapie zur Behandlung von Melanomen erprobt. Zudem ist der Start von Zulassungsstudien in Kombination mit Keytruda in den folgenden vier Krebsindikationen geplant: nicht-kleinzelliger Lungenkrebs, Nierenzellkarzinom, Blasenkrebs sowie Plattenepithelkarzinomen des Kopfes und Halses. Laut Industrieexperten wird das Spitzenumsatzpotenzial für die Kombination von Epacadostat mit Keytruda in den genannten onkologischen Indikationen auf jährlich 4,8 Mrd. USD geschätzt.
Außerdem könnte sich Novo Nordisk für Global Blood Therapeutics interessieren. Hier finden angeblich bereits Übernahmegespräche statt. Das US-Biotechnologie-Unternehmen hat sich auf die Behandlung von Blutkrankheiten spezialisiert und den Wirkstoffkandidaten GBT440 entwickelt. Dabei handelt es sich um ein oral zu verabreichendes Therapeutikum zur Prävention der Sichelzellenanämie. GBT440 wird derzeit in einer klinischen Phase 3-Studie getestet. Analysten schätzen das globale Spitzenumsatzpotenzial pro Jahr auf bis zu 5 Mrd. USD.
Zum Autor
Der Betriebswirt und Molekularbiologe Mario Linimeier ist seit 2013 bei der Fondsboutique Medical Strategy als Healthcare-Analyst tätig, seit 2017 als Geschäftsführer. Zuvor arbeitete er für eine große, international tätige Unternehmensberatung.
Der Beitrag erschien erstmals in „Personalisierte Medizin„, Ausgabe 2/2017 Plattform Life Sciences
Autor/Autorin
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