Obwohl die reiferen Biotechunternehmen wie Amgen und Biogen weiterhin wachsen und schon lange profitabel sind, scheinen die Biotechaktien an der Börse ignoriert zu werden: Die Kurse laufen seit 2014 lediglich seitwärts. Big Pharma wie Merck und Pfizer dagegen tendieren nach oben – trotz schrumpfender Umsätze und Gewinne. Eine zu erwartende Gegenbewegung schafft Chancen für antizyklische Investoren. Von Falko Bozicevic
Die Bewertungshistorie der Biotechindustrie an der Börse ist immer noch relativ kurz, da selbst das Unternehmen, das am längsten börsennotiert ist, Amgen (1983), auf gerade 30 Jahre Gewinnhistorie zurückblicken kann. Bei der Geburt der neuen Industrie wechselten sich Phasen der Euphorie und unrealistischer Erwartungen mit solchen der Depression und Zerknirschtheit ab. Abgesehen von den Pionieren wie Genentech und Amgen blieben die meisten Gesellschaften für den Großteil ihrer Existenz in den roten Zahlen. Die Kurse wurden daher in der Vergangenheit überwiegend von Erwartungen und Prognosen auf der einen Seite sowie Enttäuschungen und manchmal Kapitulation auf der anderen Seite getrieben.
Profitable reife Biotechperlen zum Discount
Inzwischen sind jedoch mit Regeneron, Celgene, Gilead zahlreiche profitable Biotechunternehmen herangewachsen, die es in puncto Umsatz und Gewinn durchaus mit den teilweise 150 Jahre alten Wettbewerbern aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie aufnehmen können. Bei einem Bewertungsvergleich von Big Pharma mit den Biotechaktien reifer und profitabler Unternehmen tritt eine Bewertungsanomalie zu Tage, die klassische Bewertungsregeln an der Börse auf den Kopf stellt.
Während in der langen Phase der Entwicklung der Biotechindustrie die KGVs in aller Regel negativ waren oder, nach Erreichen der Gewinnzone, sehr hoch, ist die Aktie von Amgen heute gerade mit dem 16fachen des aktuellen Gewinns bewertet. Bei Biogen beträgt das KGV 22. Dabei verdoppelte sich der Gewinn je Aktie bei Amgen von 2012 bis 2016 von 5,52 auf 10,24 USD. Bei Biogen gab es im selben Zeitraum sogar eine Verdreifachung auf 16,95 USD.
Überbewertete Big-Pharma-Titel
Demgegenüber sind bei Merck sowohl die Umsätze wie auch die Gewinne deutlich zurückgegangen. Der Gewinn je Aktie fiel in den letzten vier Jahren um rund ein Drittel auf 1,41 USD (2016), trotz massiver Aktienrückkäufe. Bei Pfizer sehen Umsatz- und Gewinnentwicklung zwar etwas besser aus, der Gewinn je Aktie ging nur von 1,32 (2012) auf 1,18 USD (2016) zurück – doch Pfizer hat zugleich in diesem Zeitraum fast 20% der eigenen Aktien zurückgekauft! Der Ausblick für beide ist bestenfalls gemischt.
Merck wie auch Pfizer sind Profiteure der jahrelangen Niedrig- und Nullzinspolitik der Fed. Denn dank Financial Engineering wurde Fremdkapital äußerst günstig aufgenommen und für Aktienrückkäufe verwendet, was gut für die Kursentwicklung und den Gewinn je Aktie ist. So konnten auch die hohen Dividendenausschüttungen aufrechterhalten werden, was viele dividendenorientierte Investoren bei der Stange hält. Tatsächlich zehrt die Dividendenzahlung bei beiden Pharma-Riesen nahezu ihren gesamten Jahresgewinn auf.
Diese Bewertungsanomalie wird auf mittlere Sicht verschwinden, da Unternehmen mit stagnierenden oder rückläufigen Umsätzen nicht auf Dauer ein um 50–150% höheres Gewinnmultiple aufrechterhalten können im Vergleich zu solchen mit intaktem Umsatz- und Gewinnwachstum. Diese Arbitragemöglichkeit ist nach allen Kriterien eines Value-Investors attraktiv und erschließt den innovativen Biotechbereich sogar für Anleger, die lange und wachsende Gewinnreihen sehen wollen, bevor sie ein Investment überhaupt in Betracht ziehen. Amgen zahlt sogar eine Dividende, die 2,7% Rendite abwirft.
Weniger Biotech-IPOs
Dass Biotechnologie nach der starken Performance in den Vorjahren immer noch unpopulär ist, zeigt sich auch in der tendenziell rückläufigen Primärmarktaktivität: Gingen 2015 weltweit 78 Biotechunternehmen an die Börsen, so waren es 2016 nur noch 47 IPOs. Mit 24 kam die Hälfte aus den USA, 23 in Europa. Der deutschsprachige Raum tritt dabei allerdings kaum in Erscheinung. Abgesehen von dem IPO des Industrial-Biotech-Unternehmens Brain 2016 hatte an der Deutschen Börse seit dem IPO von Wilex 2006 kein Biotechunternehmen den Gang an die Börse gewagt oder geschafft.
Auch in der Schweiz gab es weder 2016 noch dieses Jahr einen Bio-Börsengang an der Heimatbörse. Insgesamt drei Schweizer Unternehmen gingen jedoch an die Nasdaq, eines an die Euronext in Paris. Die Performance von AC Immune (Alzheimer), Crispr Therapeutics (Gene Editing) und ObsEva an der Nasdaq sowie von GeNeuro an der Euronext ist zwar nicht berauschend, doch die Liquidität der Aktien ist hoch.
Von Actelion zu Idorsia
Für positive Schlagzeilen sorgte dagegen die Anfang des Jahres vollzogene Übernahme von Actelion durch Johnson & Johnson für über 30 Mrd. USD, womit Actelion jedoch auch vom Kurszettel der SIX verschwindet. Die Übernahmeprämie betrug mehr als 50%. Hauptgewinner waren neben dem Gründerteam Clozel und langfristigen institutionellen Investoren wie BB Biotech vor allem Hedge Funds.
Als Teil des Deals wurden die Forschungskapazitäten, die interessante Wirkstoffpipeline und 1 Mrd. CHF in ein Actelion-„Baby“ eingebracht, das unter dem Namen Idorsia als Aktiendividende an Actelion-Aktionäre verteilt wurde. Seit Mitte Juni bereichert Idorsia den Kurszettel in Zürich. Nach einem kräftigen Kursanstieg beträgt die Börsenbewertung nun 2,3 Mrd. CHF, gleichauf mit Cosmo Pharmaceuticals, und damit gleich mal an der Bewertungsspitze der Schweizer Biotechs.
Ausblick
Unverändert übrigens zu den 1980er Jahren entfallen rund 85% der jährlichen Finanzierungsvolumina in der Biotechnologie auf die USA. Auch der US-Anteil an der Welt-Börsenkapitalisierung des Sektors liegt bei 85% – und es scheint kaum zu erwarten, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert.
Dieser Artikel ist erschienen in der Ausgabe „Biotechnologie 2017“, die Sie bei uns auf der Seite bequem bestellen oder als E-Magazin lesen können.
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