Bildnachweis: alphaspirit – stock.adobe.com, Emergence Therapeutics, BIO Deutschland.
Die Finanzierung der deutschen Biotechnologie-Branche in 2021 war mit rund 2,3 Mrd. EUR die bisher zweithöchste in der mehr als dreißigjährigen Geschichte der Industrie. Die 3 Mrd. EUR an Rekordfinanzierungen aus 2020 wurden indes nicht wieder erreicht. Im Rahmen seine seit 2006 durchgeführten Trendumfrage hat der Branchenverband BIO Deutschland insgesamt 111 Unternehmen der deutschen Biotech-Industrie befragt. Die Unternehmer beurteilen ihre aktuelle und zukünftige Geschäftslage insgesamt positiver als im Vorjahr. Zudem wollen sie mehr in Forschung und Entwicklung investieren und Personal aufbauen. Auch das politische Klima wird 2021 positiver bewertet als 2020. Die neue Regierung weckt allerdings keine neue Hoffnung in der Branche. Außerdem ergab die Umfrage, dass der Einfluss der Corona-Pandemie auf die aktuelle und zukünftige Geschäftslage im Vergleich zu 2020 abnimmt. Die Zahl der Unternehmen bleibt mit 710 konstant.
Technologie und Team ermöglichen gute Finanzierung
Private Biotech-Unternehmen warben 2021 rund 851 Mio. EUR Venture Kapital ein, darunter auch der Therapie-Entwickler Emergence Therapeutics mit einer außergewöhnlich hohen Serie A-Finanzierung von 87 Mio. EUR. Die vom israelischen Investor Pontifax angeführte und überzeichnete Finanzierungrunde konnte die europäischen und US-Amerikanischen Investoren RA Capital Management, Orbimed Advisors, Surveyor Capital und Hadean Ventures für das Konsortium gewinnen. Ebenso beteiligten sich alle bestehenden Investoren in signifikanter Höhe. „Die Verwendung der Mittel ist für die Entwicklung des führenden Programms bis zum Nachweis der klinischen Wirksamkeit vorgesehen“, sagt Carsten Dehning, Chief Financial Officer bei Emergence Therapeutics und Mitglied des Vorstands. Zudem sei geplant, weitere innovative Antikörper-Wirkstoff Konjugate zu entwickeln und Emergence Therapeutics insgesamt als ein weltweit führendes Unternehmen für die Erforschung und Entwicklung neuartiger ADC Krebstherapien zu etablieren, so Dehnung weiter. Das führende Programm des Unternehmens kombiniert einen hochspezifischen Antikörper mit einer optimierten Koppelungs-Wirkstoff-Technologie, die auf Nectin-4 abzielt, ein wichtiges Zielmolekül für ein breites Spektrum von Krebsarten, welches bereits als ADC-Zielmolekül für den Wirkstoff Enfortumab Vedotin gut klinisch validiert wurde.
„Mit dem Einwerben einer Serie A von 87 Mio. EUR haben wir gezeigt, dass es möglich ist, mit guten Daten, einer vielversprechenden Technologie und einem exzellenten Team international führende Investoren zu überzeugen, große Summen in ein pan-europäisches Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland zu investieren“, so Dehnung weiter. Es sei heute deutlich einfacher, große Volumina auch in frühen Phasen einzuwerben und somit herausragende Technologieansätze und erfahrene Teams deutsch-französischer bzw. europäischer Herkunft maßgeblich zu unterstützen.
Darüber hinaus beliefen sich Kapitalerhöhungen von öffentlichen deutschen Unternehmen auf rund 748 Mio. EUR. Börsengänge, allesamt an der US-amerikanischen NASDAQ, tragen 694 Mio. EUR zum Gesamtergebnis bei.
Steigen tut auch die Bedeutung von Finanzierungsrunden im Bereich „Novel Food“, darunter auch zwei Start-ups aus Deutschland: So konnte Formo, ein Food-Start-up, welches Käse aus Hefezellen anstatt Kuhmilch herstellt, im Rahmen einer Serie A-Finanzierung 42 Mio. EUR einnehmen. Im März sicherte sich das Food-Start-up Bluu Biosciences zunächst im Rahmen einer überzeichneten Seed-Finanzierung 7 Mio. EUR, wenig später engagierte sich der Lieferdienst Delivery Hero über sein VC-Vehikel DX Ventures ebenfalls als Gesellschafter in der Seed-Runde.
Ein gutes politisches Klima?
Die Einschätzung der aktuellen und zukünftigen Geschäftslage hat sich weiter verbessert und zeigt einen positiven Trend. 64 Prozent (2020: 59 Prozent) der Befragten halten ihre Geschäftslage für gut, 52 Prozent (2020: 48 Prozent) erwarten eine Verbesserung. Der Einfluss der Pandemie auf die Geschäfte ist rückläufig. 33 Prozent (2020: 41 Prozent) geben an, dass die Corona-Krise 2021 einen Einfluss hatte, nur noch 16 Prozent (2020: 29 Prozent) erwarten das für 2022.
Eine Trendwende ist bei der Beschäftigung zu sehen. Der Index steigt um rund sieben Punkte. 69 Prozent (2020: 56 Prozent) geben an Personal aufbauen zu wollen. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Absicht, in F&E zu investieren. 57 Prozent (2020: 49 Prozent) wollen die Investitionen steigern, der Index klettert um knapp fünf Punkte nach oben.
Auch die Einschätzung des aktuellen politischen Klimas ist weiterhin positiv. Rund 4 Prozent (2020: 8 Prozent) halten es aktuell für schlecht. 59 Prozent (2020 53 Prozent) für gut. Die Wahl der Ampel-Koalition hat bei der Biotech-Branche allerdings keine großen Erwartungen geweckt und führt darum nicht zu einer wesentlichen Veränderung in der Einschätzung des zukünftigen politischen Klimas. 61 Prozent erwarten, dass es dieses Jahr besser wird (2020: 58 Prozent). Dafür gehen 9 Prozent davon aus, das es sich verschlechtert (2020: 4 Prozent)
Noch viel Luft nach oben
Oliver Schacht, Vorstandsvorsitzender von BIO Deutschland, erklärt: „Die Finanzierungssituation der deutschen Biotechnologie-Branche entwickelt sich positiv. Das ist ein gutes Zeichen und auch dringend notwendig, damit unsere innovativen kleinen und mittleren Unternehmen ihr Potenzial voll entfalten können.“ Dennoch sei noch viel Luft nach oben, wenn man, wie im Koalitionsvertrag geschrieben, die Chance, mit Deutschland zu einem führenden Biotechnologie-Standort zu werden, auch wahrnehmen wolle. „Die Ampel-Regierung sollte die Biotechnologie jetzt zur Chefsache machen“, so Schacht, „damit wir bald noch mehr Erfolgsgeschichten erzählen können, nicht nur im Bereich der Gesundheit, sondern zur Bekämpfung des Klimawandels sowie bei nachhaltiger biobasierter Produktion, Kreislaufwirtschaft und Ernährung.“
Viola Bronsema, Geschäftsführerin von BIO Deutschland, ergänzt: „Dass der Regierungswechsel nicht zu einer wesentlichen Veränderung der Einschätzung des zukünftigen politischen Klimas geführt hat, obwohl die Förderung der Biotechnologie an einigen Stellen des Koalitionsvertrags erwähnt wird, muss uns zu denken geben. Entscheidend für die Standorttreue der Branche ist, ob, wie und wann die für unsere Branche positiven Ansätze im Regierungsprogramm auch umgesetzt werden.“
Kritik äußerte der Verband derweil auch an der aktuellen Umsetzung der Projektförderung. So sei das Förderprogramm KMU innovativ 2019 beendet und seitdem für die Biomedizin nicht mehr aufgelegt worden. Auch das Gründungsförderprogramm GO Bio ist seit 2018 eingestellt. „BioNTech wurde dadurch gefördert“ sagt Oliver Schacht. Für das branchenoffene Programm „Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“ (ZIM) bestehe seit Oktober 2021 ein Antragsstopp. Auch die Förderung der Impfstoffentwicklung kam erst im August 2020 und damit spät, so der Vorsitzende von BIO Deutschland. „Die Förderung der Entwicklungen von COVID 19 Therapien war anfangs mit 15 Mio. EUR gering und kam erst Mitte 2021 in Schwung“, so Schacht.
Die Stimmung ist gut – doch wie geht es weiter?
Im Fazit gibt sich der Branchenverband durchaus ambivalent. Biotechnologie gehöre zu Chefsache gemacht. Diskussionen um Patentschutz seien gefährlich für die Branche. „Die Gesamtfinanzierungssituation der Branche ist nicht so gut wie im Ausnahmejahr 2020, aber deutlich besser als in den Jahren davor“, schließt Oliver Schacht. „Diese Entwicklung ist positiv, aber die Volumina sind noch zu niedrig, in Anbetracht des Potenzials der Technologie.“ Die positive Wahrnehmung der Biotechnologie als Schlüsseltechnologie für die Medizin habe sich dennoch durchgesetzt. Das Potenzial der Biotechnologie für Ernährung, Umwelt und Klimaschutz und industrielle Produktion sei allerdings immer noch nicht ausreichend bekannt. So tauche etwa das Wort „Bioökonomie“ nur an einer einzigen Stelle im Koalitionsvertrag auf.
Der Vorsitzende von BIO Deutschland warnt auch davor, dass der Erfolg einer BioNTech andere Bereich der Biotechnologie und deren Chancen beispielsweise im Agrar- und Lebensmittelsektor oder bei der CO2-Reduktion überdecken könnte, ebenso wie anderweitige Probleme, etwa Lieferengpässe. Oliver Schacht: „Wir erwarten von der Ampel Koalition nun eine Förderung der Biotechnologie in der gesamten Breite der Anwendungen.“
Getragen wird die deutsche Biotech-Branche in der Mehrheit noch immer von Unternehmen der medizinischen Biotechnologie (56 Prozent). Dieser Anteil beinhaltet Therapeutika (28 Prozent), Diagnostika sowie medizinische Dienstleistungen (jeweils 14 Prozent). Nicht-spezifische Dienstleistungen bilden einen weiteren großen Teilbereich (25 Prozent), gefolgt von der industriellen Biotechnologie (10 Prozent), der Bioinformatik (6 Prozent) sowie der Agrobiotechnologie (3 Prozent).
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Die Redaktion der Kapitalmarkt Plattform GoingPublic (Magazin, www.goingpublic.de, LinkedIn Kanal, Events) widmet sich seit Dezember 1997 den aktuellen Trends rund um die Finanzierung über die Börse. Ob Börsengang (GoingPublic) oder die vielfältigen Herausforderungen für börsennotierte Unternehmen (Being Public), präsentiert sich GoingPublic cross-medial als Kapitalmarktplattform für Emittenten und Investment Professionals.