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Bei Circulania ist man davon überzeugt, dass alle Materialien „wertvoll“ sind. Aber haben sie auch einen Preis? Bei ­Materialien, die gemeinhin als „Abfall“ betrachtet werden, ist das meist nicht oder nur im negativen Sinne der Fall. Um das zu ändern, entwickelt das Start-up aus Düsseldorf neue Wertströme für Abfälle und industrielle Nebenströme. Dazu ­werden alte und neue Verarbeitungsmethoden mit den erforderlichen Dienstleistungen kombiniert.

 

Europa ist in hohem Maße von Material­einfuhren abhängig. Die meisten ­davon stammen aus einigen wenigen Ländern mit extremer Marktdominanz, was meist zu negativen wirtschaftlichen Abhängigkeiten führt. Hinzu kommt, dass insbesondere die Gewinnung und Verarbeitung einiger Materialien (z.B. Metalle und Mineralien) große Mengen an Treib­haus­gasen freisetzt. Durch Recycling und ­Wiederverwendung ließen sich diese Emissionen massiv reduzieren. Und dennoch: Viele Materialien, die vielleicht anderweitig noch verwendet werden könnten, werden kostenintensiv entsorgt. Insgesamt betrachtet ist also die Deponierung oder Verbrennung von Wertstoffen wirtschaftlich und ökologisch unvernünftig. Allein in der EU entstehen jährlich über 2 Mrd. Tonnen an Abfällen und Nebenprodukten.[1]

Entscheidend bei Circulanias sekundären Materialien ist die garantiert gleiche oder höhere Qualität im Vergleich zu Primaärohstoffe. Copyright: Circulania Services GmbH
Entscheidend bei Circulanias sekundären Materialien ist die garantiert gleiche oder höhere Qualität im Vergleich zu Primaärohstoffen. Copyright: Circulania Services GmbH

Kreisläufe brauchen aktive ­Vernetzung

Es liegt angesichts dieser Problematik auf der Hand, eine digitale Plattform wie eBay für die „Circular Economy“ zu etablieren – eine Art Handelsplatz für industrielle ­Abfall- und Nebenströme. So könnten alle die auf dem Markt verfügbaren Materialien einsehen und entscheiden, ob sie für diese eine Verwendung haben. Ebenso könnte eine Preisbildung in ungehinderter Form erfolgen, indem Angebot und Nachfrage direkt aufeinandertreffen. Doch so gut diese Idee auch erscheint und obgleich sie von mehreren Anbietern bereits umzusetzen versucht wurde: In der Praxis funktioniert sie nicht. So wurde beispielsweise die in Deutschland prominenteste Plattform, die von der IHK langjährig betriebene IHK-Recyclingbörse, letztlich wieder geschlossen. „Der Grund dafür ist, dass sich viele Industrien des Werts ihrer Materialien nicht bewusst sind und daher keine marktadäquate Preisbildung stattfinden kann. Hinzu kommt, dass viele Industrien nicht eigenständig auf die Idee kommen oder ihnen das Wissen dazu fehlt, ihren ­Materialbedarf über Abfall- und Nebenströme anderer Industrien zu decken, und demnach einen solchen Handelsplatz nicht aktiv aufsuchen. Es fehlt auch an ­einer aktiven Vernetzung von Anbietern und Abnehmern und einer unterstützten Aufbereitung von Abfall- und Neben­strömen, damit sie für potenzielle Abnehmer attraktiv werden“, so Friedrich Fries-Henrich, CEO von Circulania.

Linear vs. circuar economy. Copyright: malinika - stock.adobe.com
Linear vs. circuar economy. Copyright: malinika – stock.adobe.com

Ziel ist das Materialökosystem

Diese Lücken schließt Circulania, indem es ein „optimiertes Recycling“ anbietet. „Wir machen ‚gebrauchte Materialien‘ über unsere digitale Plattform sichtbar und verfügbar. Außerdem ermitteln wir aktiv Verwendungszwecke für diese Materialien, indem wir neue Liefer- und Wertschöpfungsketten in Kooperation mit Industriepartnern schaffen. Das Ziel ist eine indus­trielle Kreislaufwirtschaft, die Verschmelzung vieler Industriezweige und Branchen zu einem ‚Materialökosystem‘“, so Mitgründer Claus Pels-Leusden. Eine solche Kreislaufwirtschaft ist angesichts zunehmend kurz- und mittelfristiger Unterbrechungen globaler Lieferketten durch politische, wirtschaftliche und ökologische Krisen dringend geboten. Doch auch wenn Nachhaltigkeit überall gewollt ist, wird das operative Geschäft davon nicht automatisch erfasst. Hier zählen weiterhin Qualitäts­anforderungen und Preiswettbewerb. Die Komponente Nachhaltigkeit spielt dann keine Rolle mehr. Durch eine Plattform wie die von Circulania, die Nachhaltigkeit mit adäquater Preisgestaltung verbindet, ließe sich das ändern. Circulania versteht sich als Netzwerk von universitären und nicht-universitären F&E-Abteilungen, Industriepartnern, Logistikern, Vertrieblern, Produzenten und vielen mehr. In Kooperation werden für einen Handel geeignete ­(Sekundär-)Materialien ausgewählt, aufbe­reitet und entwickelt – immer in Absprache und angepasst auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse. Die Herausforderung dabei ist, dass diese aufbereiteten Materialien in Qualität und Preis mit „Neumaterialien“ konkurrenzfähig sein müssen.

Plattform für nachhaltige ­Materialwiederverwendung

Friedrich Fries-Henrich, CEO, Circulania Services GmbH
Friedrich Fries-Henrich, CEO, Circulania Services GmbH

Circulania wurde aus einem Ideenwett­bewerb auf einem Stahlkongress im Jahr 2019 von zwei Rohstoff- und Industrieprofis gegründet. Im vergangenen Jahr 2023 ­betrug der Umsatz 520.000 EUR. Nachdem das Unternehmen sich mithilfe einer ­Förderung des EIT RawMaterials2 und ­eines Wandeldarlehens der NRW.BANK 2020 erfolgreich weiterentwickelt hat, wird derzeit die Seed-Finanzierungsrunde angegangen. Ziel ist, bis Ende nächsten Jahres ­Umsatz und Menge der wiedereingesetzten Materialien zu verzehn­fachen, bis neue Onlineservices die ­Verwendung und das Reporting der nachhaltigen Materialien für die gesamte ­Lieferkette weiter vereinfachen werden. Etwa 40 Unter­nehmen ­nutzen derzeit die Dienste von Circulania; ca. 5.000 Tonnen an Materialmengen werden in diesem Jahr wiedereingesetzt.

Claus Pels-Leusden, Mitgründer, Circulania Services GmbH
Claus Pels-Leusden, Mitgründer, Circulania Services GmbH

Das Unternehmen ist im Markt­umfeld strategisch positioniert – bis 2029 sollen 300.000 Tonnen Materialien wiedereingesetzt werden und einen Plattform­umsatz von 100 Mio. EUR erzielen. Derzeitige Skalierungsvorhaben sind der Ausbau der weltweit einmaligen Plattform zur ständig neuen Erstellung, Verbindung und Liveverfolgung digitaler Produktions- und Liefernetz­werke. Hinzukommen soll die Integration von „Circulania-Pay“, einer ­sofortigen ­Auszahlfunktion – unabhängig von Zahlungszielen großer Kunden –, die Erweiterung der gehandelten Materialien und ihr Einsatz in zusätzlichen Branchen. Zur ­Umsetzung der Wachstumsziele läuft ­derzeit eine Seed-Finanzierungsrunde. Die Zusammenarbeit mit neuen Industrie­kooperationspartnern wird zur Umsetzung des Geschäftsmodells entscheidend sein. Dazu werden laut Unternehmen ­derzeit noch gezielte Ansprachen vor­genommen.

KURZPROFIL DER CIRCULANIA SERVICES GMBH
Gründung: 2019
Unternehmenssitz: Düsseldorf
Sektor: Circular Economy
Internet: www.circulania.com

[1] Abfallaufkommen nach Abfallkategorie, Schädlichkeit und Wirkungsbereich der Nomenclature Générale des Activités Économiques dans les Communautés Européennes; statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der EU (NACE) Rev. 2; https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/env_wasgen$defaultview/default/table?lang=en; EUROSTAT(2024)

Dieser Artikel ist in der Plattform Life-Sciences-Ausgabe 1-2024 erschienen.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.