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Auch wenn momentan nahezu allerorts nur von zunehmenden Lockerungen die Rede ist und sich die Laune der meisten Bürger nach coronabedingtem Stubenarrest merklich gebessert hat, sollte die Gefahr die nach wie vor vom Coronavirus ausgeht nicht unterschätzt werden. Das Virus ist nach wie vor da und das bestätigen auch die aktuell steigenden Infektionszahlen und ein zunehmender R-Wert. Vor einer zweiten Welle wird jedoch wenn erst im Herbst gewarnt… Dennoch zeigen die aktuellen Ausbrüche in Berlin, Göttingen und Gütersloh, wie zerbrechlich die wiedererlangte Normalität ist, die innerhalb Deutschlands schon wieder herrscht. Erwächst aus den erwähnten Corona-Ausbrüchen auch eine zweite deutsche Welle?
Zum Beispiel Gütersloh: Mehr als 1500 Infizierte im Schlachtbetrieb Tönnies, über 7000 Menschen bisher in Quarantäne und die gerade erst geöffneten Schulen und Kitas sind schon wieder zu. Auch ein regionaler Lockdown scheint möglich, so Ministerpräsident Laschet am Sonntagabend: „Ich könnte mir vorstellen, dass wir Kontaktbeschränkungen ebenfalls wieder erlassen, so wie sie im Lockdown gegolten haben.“ Am heutigen Dienstag wurde nun bis 30. Juni ein Lockdown für den Kreis Gütersloh und Teile des benachbarten Landkreises Warendorf, der ebenfalls stark ansteigende Neuinfektionen zu verzeichnen hat, angekündigt. Die Frage ist nur warum diese Maßnahmen erst jetzt erfolgen…
Denn genau diese Ausbrüche begünstigen die vorherrschende Angst vor einer zweiten Welle, die unbedingt vermieden werden soll. Die Befürchtung ist ohnehin, dass zum Winter hin die Infektionszahlen in ganz Deutschland noch einmal steil nach oben gehen. Die Kombination aus Kälte und geschlossenen Räumen werden es dem Coronavirus besonders leicht machen. Jedoch sind wir durch die Erfahrungen aus den letzten Monaten auch deutlich besser vorbereitet:
- Gesundheitssystem:
Am wenigsten Angst vor einer zweiten Welle haben die, die am direktesten betroffen wären: die Mediziner und alle weiteren Mitarbeiter unseres Gesundheitssystems. Sie haben erlebt, wie effizient und kurzfristig das System im Ernstfall hochgefahren werden kann. Ein dichtes Kliniknetz, ausreichend Intensivbetten und geschultes Personal würde auch mit einer größeren Patientenzahl fertig. Dramatische Situationen wie in Brasilien, Indien oder Teilen der USA brauchen wir daher nicht zu fürchten. Medizinisch ist Deutschland gut vorbereitet. - Gesichtsmasken/Schutzausrüstung:
Am 31. Dezember 2019 lagen als eiserne Reserve lediglich rund 150.000 Masken mit dem FFP-Qualitätsstandard und 1,9 Millionen einfache OP-Masken bereit. Die Bundesregierung nutzte ihre Vorräte, um den Anfangsbedarf in der Krise zu decken. Anschließend wurde es chaotisch und exorbitant teuer – das soll in der Zukunft nicht mehr passieren. Um künftig in einer solchen Krise schneller reagieren zu können, will Deutschland die Abhängigkeit vom Weltmarktführer China verringern und inländische Produktionskapazitäten fördern. Insgesamt sollen laut des Wirtschaftsministeriums in Deutschland bis Ende 2021 etwa 3,5 Milliarden FFP2- und OP-Masken hergestellt werden. - Testen:
Testen muss selbstverständlich werden. Derzeit wird ein Test auf Coronaviren nur unter bestimmten Risiko-Voraussetzungen gewährt und von den Krankenkassen bezahlt. Experten fordern seit langem eine deutliche Ausweitung bei Tests etwa in Pflegeheimen, Kliniken, Gemeinschaftsunterkünften, Schulen und Kitas. Die Kapazitäten wären vorhanden. Einen Schnelltest könnte bald das Mainzer Start-up Digital Diagnostics bereitstellen. Es hat gerade die Sonderzulassung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beantragt. Der Nachweis geschieht bei diesem Corona-Schnelltest in wenigen Minuten. Er ist nicht nur deutlich schneller als die bisherigen Verfahren, er kann hohe Testzahlen verarbeiten – und das Infektionsgeschehen digital erfassbar machen. - Corona Warn-App:
Die Corona Warn-App des Bundes könnte im Falle einer 2. Infektionswelle eine entscheidende Rolle einnehmen. Die Anwendung stößt bei den Menschen in Deutschland auf eine noch größere Resonanz als erhofft: Seit ihrem Start am 16. Juni wurde sie mehr als zwölf Millionen Mal heruntergeladen und installiert. Sie soll die Nachverfolgung von Kontaktpersonen eines positiv getesteten Menschen erleichtern. - Aerosole:
Das Risiko der Ansteckung über Aerosole ist nun bekannt und kann eingedämmt werden, indem auf regelmäßiges Lüften geachtet wird. Denn die höchste Ansteckungsgefahr besteht, wenn sich Menschen längere Zeit, dicht beieinander in einem geschlossenen Raum von überschaubarer Größe aufhalten – also im deutschen Alltag in der kalten Jahreszeit. Darüber hinaus könnte für Hotels und Restaurants die Installation neuer Filteranlagen, die eine Aerosolbildung verhindern, zu mehr Sicherheit führen. - Schulkonzept:
Wir benötigen ein tragfähiges Schulkonzept, das im Falle einer Infektion nicht komplette Schulen schließen lässt, sondern nur einzelne Klassen. Das tägliche zur Schule gehen muss ab September definitiv wieder zum Alltag dazugehören. Und dies wird wohl mit der Abstandsregel von 1,5 m nicht vereinbar sein - Homeoffice:
Homeoffice ist doch viel öfter und problemloser möglich als gedacht. Die meisten Arbeitnehmer sitzen gerne zuhause am Schreibtisch. Und auch Arbeitgeber stellen fest, dass es ziemlich gut klappt, wenn sie ihre Mitarbeiter nicht vor Ort im Blick haben. So hat eine Sonderbefragung im Rahmen des Manager-Barometers der Personalberatung Odgers Berndtson ergeben, dass 89 Prozent der rund 1.500 Managerinnen und Manager, die an der aktuellen Befragung teilgenommen haben, in Zukunft mit einem deutlichen Anstieg der Homeoffice-Regelungen in ihren Unternehmen rechnen.
Der über die letzten Monate erarbeitete Vorsprung ist somit nach wie vor Deutschlands großer Vorteil. Dieser muss unter allen Bedingungen geschützt und sollte keinesfalls leichtfertig verspielt werden. Infektionscluster müssen schnellstmöglich identifiziert und entschärft werden, um die Reproduktionszahl niedrig zu halten und die Ansteckungskette früh zu unterbrechen. Wenn sich jeder einzelne an all diese Regeln und Vorgaben hält, scheint Deutschland für den Fall einer zweiten Welle gut gerüstet zu sein.