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Die deutsche Biotechnologiebranche blickt auf herausfordernde Zeiten zurück, doch im Jahr 2024 zeichnet sich eine Trendwende ab. Während die Investitionen wieder anziehen, bleibt die Sorge um die Zukunft der Firmengründungen. Ein Blick auf die Entwicklungen und die anstehenden Herausforderungen.

Die vergangenen Jahre waren für die Biotechnologiebranche hierzulande keine leichte Zeit. Besonders die letzten drei Jahre stellten Unternehmen vor große Herausforderungen, da die Verschlechterung des wirtschaftlichen und geopolitischen Klimas das Fundraising-Umfeld in Deutschland ebenso hart traf wie andere Regionen.

Unternehmen aus den Bereichen Life Sciences und Medizintechnik sahen sich in den vergangenen Monaten mit schwächelnden Aktienmärkten, einem stark gesunkenen Investoreninteresse sowie der Bewältigung von Inflation und steigenden Zinssätzen konfrontiert. Das langsame Wirtschaftswachstum verstärkte diese Probleme zusätzlich.

Doch trotz dieser widrigen Rahmenbedingungen konnte die deutsche Biotechnologiebranche anno 2023 rund 1,1 Mrd. EUR an Kapital einsammeln – eine Steigerung gegenüber den 920 Mio. EUR aus dem Jahr 2022. Laut dem aktuellen Biotechnologie-Report der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY und Zahlen von BIO Deutschland floss etwa die Hälfte dieser Mittel in private Biotechunternehmen, die andere Hälfte in börsennotierte deutsche Firmen.

Die Lage im ersten Halbjahr 2024

Es lassen sich erste Anzeichen einer Entspannung ausmachen: Die Inflation scheint sich abzuschwächen, die Zinssätze stabilisieren sich oder sinken, und es dürfte sogar zu einem moderaten Wirtschaftswachstum kommen. Gleichzeitig sind viele Firmen aktiv auf der Suche nach Zielen für Käufe oder Zusammenschlüsse – ein prominentes Beispiel ist die Übernahme von Cardior Pharmaceuticals durch Novo Nordisk.

Vor diesem Hintergrund gibt es zu Beginn der Herbstsaison Grund zu vorsichtigem Optimismus: Im ersten Halbjahr 2024 wurden bereits fast so viele private Investitionen in die Biotechnologie getätigt wie im gesamten Jahr 2023 – insgesamt rund 500 Mio. EUR, wie Daten von EY und BIO Deutschland zeigen. Allerdings bleiben die Kapitalerhöhungen im privaten Sektor sehr konzentriert und selektiv: Etwa 65% der privaten Investitionen in diesem Jahr flossen in Finanzierungsrunden mit einem Volumen von jeweils mehr als 100 Mio. EUR, darunter Tubulis (128 Mio. EUR im März 2024), ITM (188 Mio. EUR im Juni 2024) und CatalYm (150 Mio. USD im Juli 2024).

Der verbleibende Teil der Investitionen entfiel auf kleinere Finanzierungsrunden unter 100 Mio. EUR, hauptsächlich in Folgefinanzierungen bestehender Unternehmen wie SciRhom (63 Mio. EUR im Juli 2024), AIRNA (60 Mio. USD im Juli 2024), DISCO (20 Mio. EUR im Januar 2024), HepaRegenix (15 Mio. EUR im Juli 2024), Seamless Therapeutics (12,5 Mio. USD im April 2024) und Captain T Cell (8,5 Mio. EUR im Mai 2024).

Auch die wenigen Finanzierungen von börsennotierten deutschen Biotechnologieunternehmen waren bedeutsam: Immunic sammelte 240 Mio. USD ein, Immatics erzielte 175 Mio. USD und Formycon 83 Mio. EUR. Alle diese Finanzierungen fanden im Januar 2024 statt. Diese Summen dürften mit zu den höchsten Beträgen gehören, die börsennotierte deutsche Unternehmen in diesem Jahr einwerben werden.

Es ist besonders erfreulich, dass alle genannten Biotechnologieunternehmen erhebliches Kapital aus dem Ausland beschaffen konnten, was ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Qualität ihrer wissenschaftlichen Arbeit und die Stärke ihres Managements unterstreicht.

Ein Blick in die Zukunft

Insgesamt gehen wir davon aus, dass der Zwölfmonatstrend aller Biotechnologiefinan­zierungen das Niveau von 1,1 Mrd. EUR aus dem Jahr 2023 übertreffen wird, damit mehr oder weniger stabil ist im Vergleich zum Post-Corona-Jahr 2022, sich aber auf einige wenige Unternehmen konzentriert.

Trotz dieser positiven Entwicklungen gibt es jedoch auch noch einige Herausforderungen. Auf dem BioM Investor‘s Day im Juli 2024 in München wurde diskutiert, dass 2024 einen anhaltenden Rückgang bei der Gründung neuer Unternehmen aus deutschen Universitäten und Gründeraktivitäten mit sich bringen könnte. Die finalen Zahlen für das Jahr werden zeigen, wie gravierend dieser Rückgang tatsächlich ist.

Es stellt sich die Frage: Woher soll in Zukunft die Grundlage für neue, spannende deutsche Biotechnologieunternehmen kommen? Und welche Anreize für Unternehmensgründungen wird es geben, wenn Kapitalmangel zwar eine bedeutende, aber nicht die einzige Ursache für den Rückgang der Frühphasenfinanzierungen ist?

Eines bleibt klar: Wir müssen weiterhin eng zusammenarbeiten, um das deutsche Biotechökosystem auch in Zukunft stark und innovativ zu halten. Nur so können wir sicherstellen, dass Deutschland auch in den kommenden Jahren ein attraktiver Standort für die Biotechnologie bleibt.

Autor/Autorin

Dr. Hubert Birner
Dr. Hubert Birner
Managing Partner at TVM Capital Life Science | Website

Dr. Hubert Birner ist Managing Partner bei TVM Capital Life Science. Er verfügt über 25 Jahre VC-Erfahrung und ist verantwortlich für die Investitionsstrategie und das weltweite Fondsgeschäft von TVM.