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Plattform Life Sciences: Um einen ersten Überblick über das Thema „Finanzierung“ zu bekommen – wie hat sich die Pandemie auf das Geschehen in den letzten 24 Monaten ausgewirkt?
Dr. Bialojan: Die Entwicklung ist einerseits sehr positiv, andererseits muss man auch realistisch bleiben. Als der Anstieg der Finanzierungssummen 2020 begann, konzentrierte sich das meiste Geld auf die bekannten Unternehmen. Im vergangenen Jahr kamen dann weitere Namen hinzu, etwa eine T-knife. Was wir nicht sehen, ist eine Finanzierung in der Breite. Viele junge Firmen haben weiterhin das gleiche Problem, dass sie zu wenig Zugang zu Venture Capital haben, bis sie einen gewissen Sprung in ihrer Entwicklung geschafft haben.
Huber: Das Wichtigste war, dass es keinen Einbruch gab. Insgesamt blieben die Zahlen relativ konstant, mit einem positiven Trend. Auffälligerweise ist es uns gelungen, deutlich größere Finanzierungsrunden zu generieren – das war vor der Pandemie deutlich schwieriger oder gar unmöglich. Das liegt vor allem daran, dass sich die VCs nach einer gewissen Zurückhaltung zu Beginn der Pandemie schließlich gut mit neuem Geld versorgen konnten. Das Fundraising hat oftmals gut funktioniert. Viele VCs investieren auch vermehrt wieder in früheren Phasen, anders als in der Vergangenheit. Im Vergleich zu UK oder den USA sind wir natürlich weit hintenan, aber ich sehe einen gewissen Hoffnungsschimmer.
Auf der Metaebene haben wir in Deutschland natürlich nicht die funktionierende Kapitalmarktkette, vor allem bzgl. europäischer IPOs. Unternehmen wie eine Immunic, die in den USA an die Börse gehen müssen, bestätigen diese Regel. Zusammengefasst: Wenige Leuchttürme vereinnahmen den Großteil des Wagniskapitals in der deutschen Life-Sciences-Industrie.
Dr. Kremoser: Wir haben ja hier alle Parteien an einem Tisch: vom Unternehmer und Fundraiser über den Analytiker bis hin zum privaten und schließlich öffentlichen Investor. Ich sehe es ähnlich – es gibt mehr großvolumige Finanzierungsrunden, die sich auf wenige Unternehmen verteilen, in einer Höhe von 30 Mio. oder 40 Mio. EUR in einer Series-A-Finanzierung, oder auch Follow-on-Finanzierungen über 60 Mio. EUR und mehr. Das heißt, Geld ist zwar vorhanden, es fehlt aber trotzdem an der „Nahrungskette“. Es gibt weiterhin keine großen IPO-Exits in Europa. Das bedeutet für Unternehmen, wenn man einen Trade Sale ablehnt und Venture-Investoren an Bord hat, muss man sich im Zweifelsfall in Richtung NASDAQ orientieren oder seine Firma zum Verkauf anbieten.
Als Unternehmer und Fundraiser stelle ich fest, dass die großen VC-Geber weiterhin so risikoavers sind wie in der Vergangenheit. Sie steigen erst dann ein, wenn der Proof of Concept bereits vorhanden ist oder sie so überzeugt sind von einer Idee, dass sie sich trauen, dann aber nur im Schulterschluss mit anderen großen Kapitalgebern.
Wo liegt dabei die Bedeutung öffentlicher Fonds?
Dr. Kremoser: Der High-Tech Gründerfonds, aber auch Landesgesellschaften wie Bayern Kapital oder eine Coparion waren ja dafür gedacht, privates Kapital zu boostern, entsprechende Investments attraktiver zu machen und sich zu engagieren, wenn private VCs noch zurückhaltend sind. Genau hier sehe ich die Rolle der staatlichen Fonds – dass sie auch Sachen anfassen, die aus Sicht privater Kapitalgeber noch nicht ganz reif sind. Trotzdem besteht natürlich das Risiko, dass Kapital nach dem „Gießkannenprinzip“ verteilt wird. Daher finde ich das Modell attraktiv, bei dem privates Kapital durch öffentliches Kapital verdoppelt wird, denn das zeigt ja, dass ein privates unternehmerisches Interesse vorliegt. So könnten sich auch weitere Seed-Fonds etablieren.
Kring: Die Unterfinanzierung der hiesigen Biotechbranche hat sich in den letzten Jahren nicht geändert, nur hat sich die Summe des fehlenden Kapitals inzwischen merklich erhöht. Zu Beginn der Pandemie haben sich viele VCs erst einmal auf das eigene Portfolio zurückgezogen. Später hat sich die Entwicklung umgekehrt, als man am Beispiel BioNTech gemerkt hat, dass sich mit Biotech viel Geld verdienen lässt.
Aus meiner Sicht ist jedoch das Matching zwischen Kapital und Start-ups immer noch ineffizient und funktioniert nicht. Einerseits ist im Moment so viel Kapital verfügbar wie noch nie in den letzten 20 Jahren. Trotzdem werden nicht mehr Unternehmen finanziert. Die Fonds haben beispielsweise nicht automatisch mehr Leute zur Verfügung, die sich um die Investments kümmern können. Gleichzeitig gibt es Investoren, die nur regional oder als Co-Investoren fungieren können, wodurch es sein kann, dass man für einen Finanzierungsrunde zwar mehr Geld zur Verfügung hat, als man benötigt, dennoch die Runden nicht abschließen kann, weil die Investoren nicht zusammen in dasselbe Unternehmen investieren können. Andererseits spielt dann aber der regionale Fokus keine Rolle, wenn es darum geht, ein Unternehmen zu verkaufen oder an die NASDAQ zu bringen. Ich erlebe in Fundraisingrunden immer noch zu viel Ineffizienz, vor allem auch in den benötigten Zeiträumen bis zum Abschluss von Finanzierungen.
Warum existiert überhaupt die Notwendigkeit, einen staatlichen „Matching-Fonds“ zu installieren?
Huber: Generell ist genug Geld da, es ist nur eine Frage der Allokation, wohin das Geld fließt. Viele Investoren wollen aber nicht in zu große Risiken investieren. Das ist ein spezielles Problem für die Biotechnologie. Die Frage ist also: Wie kann man das Risiko minimieren? Es gibt diverse Ansatzpunkte: Man muss die Kapitalmarktkette vervollständigen und man kann auch Techtransferstellen weiter professionalisieren. Man kann über steuerliche Anreize Bedingungen für Investoren verbessern. Auf Unternehmensebene ist immerhin schon über die steuerliche F&E-Förderung einiges passiert.
Am Ende bräuchte es aber auch ein Börsensegment auf deutscher – oder besser: europäischer – Ebene, welches funktioniert. Dazu braucht es aber auch Analysten, die sich damit auskennen und die in der Lage sind, zu selektieren. 20 Jahre nach der Dotcomblase sind zahlreiche private Anleger immer noch verschreckt. Zu guter Letzt bräuchte es einfach mehr gute Exits als Erfolgsbeispiele oder mehr „BioNTechs“, damit die Leute wirklich sehen, was Biotech eigentlich alles kann.
Dr. Bialojan: Die Diskussion um „Matching-Fonds“ hat häufig einen regionalen oder landespolitischen Hintergrund und in der Regel sind diese Interessen groß. Zudem agieren diese Fonds eher in der frühen Phase, wo die Notwendigkeit bekanntermaßen sehr groß ist. Insofern kann dieses Instrument auch für bestehende Investoren sehr motivierend sein. Dass Matching-Fonds in späteren, überregionalen Phasen keine größere Rolle mehr spielen, sollte klar sein.
Huber: Es ist wichtig, dass es staatliche Fonds gibt – vor allem in Phasen, in welchen wenig privates Kapital vorhanden ist und der Staat dieses Marktversagen ein Stück weit ausgleichen kann und private Investoren überhaupt dazu bringt, in „Risiken“ zu investieren. Hier kann es sich zum einen um frühe Phasen handeln, bei denen die privaten Investoren etwa aufgrund noch nicht ausreichenden Proofs zurückhaltend agieren, oder um Unternehmen, die – wie im Life-Sciences-Sektor üblich – hohe Kapitalbedarfe aufweisen. Die Regionalität ergibt sich aus den unterschiedlichen Interessen des jeweiligen Bundeslandes. Aber dies ist nicht zu eng gefasst: Bayern Kapital fordert beispielsweise, dass der Sitz oder die wesentliche Betriebsstätte bzw. Niederlassung eines Unternehmens in Bayern ist. Das Headquarter kann also beispielsweise auch in der Schweiz angesiedelt sein, wenn sich die Produktionsstätte oder eine F&E-Einheit in Bayern befindet. Natürlich will man mit Matching auch ein gewisses Marktversagen ausgleichen. Als Bayern Kapital haben wir uns aber schon vor Langem von reinen Seed-/Early-Stage-Finanzierungen verabschiedet und managen mit dem Wachstumsfonds Bayern und dem ScaleUp-Fonds Bayern zwei Fonds, mit denen wir als Bayern Kapital zweistellige Millionenbeträge investieren können. Zur Verdeutlichung: Aktuell hat Bayern Kapital 700 Mio. EUR under Management – damit lässt sich einiges zusammen mit privaten Investoren bewegen. Da hat auch die Politik hinzugelernt, auch wenn es zugegebenermaßen nicht immer ganz einfach ist, die Sichtweisen von Politik und Biotech zusammenzubringen.
BioRN strebt ja an, einen staatlichen Matching-Fonds in Baden-Württemberg zu installieren.
Dr. Kremoser: Analog zu Bayern Kapital existiert derzeit in Baden-Württemberg kein vergleichbares Angebot. Es gibt zwar nominal baden-württembergisches Venture Capital, etwa seitens der L-Bank/LEA/MBG – diese sind aber nicht für Biotech und erst recht nicht für therapeutische Ansätze affin. Die Herausforderung bleibt der Mangel an skalierbaren Businessmodellen im Biotechbereich. Salopp formuliert: Der Schwabe möchte in Dinge investieren, die er anfassen und sehr bald verkaufen kann.
Dr. Bialojan und ich hatten schon vor Jahren Kontakt zu Danyal Bayaz, dem heutigen Finanzminister von Baden-Württemberg, der damals noch Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestags war. Er zeigte sich sehr aufgeschlossen für das Thema Venture Capital. Die Diskussionen erstrecken sich aber über vielerlei Bereiche, etwa darüber, dass es schon anderweitige Finanzierungsinstrumente gibt, über das Fondsvolumen und bestimmte Finanzierungskriterien oder Branchenschwerpunkte.
Natürlich ist es mit einem reinen Matching-Fonds auch nicht getan. Thema Wertschöpfungskette: Die lukrativen Börsengänge finden immer noch in den USA statt. Selbst die Euronext zieht vergleichsweise wenige deutsche Unternehmen an. Muss man also die Nahrungskette so aufbauen, dass große IPOs an der NASDAQ stattfinden können, während, kleinere, jüngere Firmen, vielleicht auch mit anderen Businessmodellen idealerweise auch in Deutschland, an neu einzurichtenden speziellen Segmenten, an den öffentlichen Kapitalmarkt gehen können? Das große Risiko dabei ist, dass private Anleger aus Unwissenheit viel Geld verlieren. Wie kann man also privates Kapital dorthin lenken und gleichzeitig verhindern, dass es, wenn auch in kleinerem Maßstab, sinnlos verspielt wird? Hier müssen wir Mechanismen entwerfen.
Die großen VCs wird es immer geben; die Rolle von Matching-Fonds sehe ich auch darin, nicht nur mit VCs zusammenarbeiten, sondern ebenso mit anderen großen privaten Investoren und damit auch andere Finanzierungsmodelle anzubieten. Die großen Erfolge der deutschen Biotechnologie beruhen zum Großteil auf dem Engagement von Family Offices.
Dr. Bialojan: Bekanntermaßen sieht sich auch in Baden-Württemberg gerade eine Reihe von Vermögenden einem gewissen Anlagedruck ausgesetzt. Dazu kommt das hohe Innovationskapital im Bundesland. Hier besteht aber eine große „Disbalance“, etwa im Gegensatz zu Bayern. Hier können regionale Kapitalmärkte eine Lösung sein, denn der Wunsch ist da, in etwas Handelbares zu investieren. Für viele Vermögende ist die NASDAQ viel zu weit weg. Wenn sich wiederum ein Bundesland stark in einem Matching-Fonds engagiert, ist das, regional gesehen, für viele private Investoren eine ganz andere Stimulanz. Die nicht-funktionierende Nahrungskette haben wir überall. Speziell in Baden-Württemberg herrscht aber eine eklatante Disbalance zwischen dem vorhandenen privaten Kapital und dem vorhandenen Potenzial der regionalen Biotechindustrie, in die nicht ausreichend investiert wird.
Welches besondere Augenmerk legt ein öffentlicher Fonds auf das Thema „Ausgründung“? Würde ein Matching-Fonds die Translation in Baden-Württemberg zusätzlich befeuern?
Dr. Bialojan: Im Prinzip kann das passieren, allerdings gehören dazu noch andere Zutaten. Man muss das Potenzial auch professionell identifizieren, damit es zur Ausgründung kommt. In Heidelberg passiert dahin gehend gerade sehr viel. Evotec engagiert sich mit seiner Bridge, die genau das macht. Zudem hat der Inkubator BioLabs seine Arbeit aufgenommen. Diese Instrumente bringen nicht automatisch Kapital in die Szene, sondern sie schauen, wo die wirklich guten Ideen sind, die man soweit aufbereiten kann, damit es zu einer guten und soliden Ausgründung kommt. Das ist auch für Investoren eine wesentliche Risikominderung.
Kring: Trotzdem reicht die reine Gründungsabsicht für einen öffentlichen Investor nicht aus, denn öffentliche Investoren brauchen immer einen Lead-Investor. Aus meiner Sicht scheitern Investments an der Frage der Lead-Investoren. In den letzten Jahren habe ich hier kaum Veränderungen bemerkt.
Aber was macht ein Lead-Investor anders als ein Co-Investor? Alle Investoren investieren in dieselbe Share-Klasse und haben die gleichen Rechte und Pflichten. Nur macht der Lead-Investor angeblich die Due Diligence. Ich stelle aber fest: Im Endeffekt machen auch die Co-Investoren, also auch die öffentlichen Investoren, ihre eigene Due Diligence und diskutieren über Bewertungen. Insofern könnten sie die Rolle des Lead-Investors genauso übernehmen. Natürlich ist mir bekannt, dass das bei vielen von den Statuten her nicht geht – aber ist nicht genau dies das Problem? Wir brauchen also mehr Fonds, die bereit und in der Lage sind, die Rolle des Lead-Investors zu übernehmen. Die Matching-Fonds kann man später immer noch ins Boot holen.
Huber: Natürlich kennen wir erstens die Herausforderung einer Suche nach Lead-Investoren. Und wir treffen häufig auf Zurückhaltung, insbesondere dann, wenn die Fälle sehr früh sind. Das liegt natürlich am VC-Modell, aber ob man dieses ändern kann, ist ein eigenes Thema.
Zweitens geht es um das Thema „externe Marktvalidierung“. Die kann natürlich nicht vom Staat selbst kommen, wenn es darum geht, ein Marktversagen zu beseitigen. Die Marktvalidierung muss also der private Matching-Investor übernehmen, was nachvollziehbar ist. Aber was kann man tun?
Bei Bayern Kapital sind wir bestrebt, ausreichend viele verschiedene Geldtöpfe zur Verfügung zu haben, um viele Arten von Investments zu tätigen: von klein bis groß und von ganz früh bis Later Stage, also immer noch im VC-Bereich. Die Lücke an privaten VCs haben wir insofern schließen können, indem wir versucht haben, mit privaten Investoren anderer Art, also nicht VCs, ins Geschäft zu kommen, also Business Angels, Family Offices und Corporate Ventures, dies natürlich nicht nur mit in Deutschland ansässigen Investoren, sondern international. Insbesondere, aber nicht nur bei Business Angels möchte ich behaupten, es ist uns gelungen.
Natürlich haben Privatinvestoren oder Business Angels nicht vollständig die VCs von früher ersetzt. Das liegt an den Ticketgrößen, aber auch an dem Umstand, dass man manchen Privatinvestoren, etwa gewachsenen Mittelständlern, erst einmal das Geschäftsmodell „Venture Capital“ näherbringen muss. Da ist ein staatlicher Investor von Vorteil, weil der in solchen Fällen ein gewisses Maß an Seriosität vermitteln kann.
Kring: Letztlich brauchen Biotechunternehmen Fonds und Investoren, die selbstständig agieren können. Und so gut die Arbeit einer Bayern Kapital, einer NRW.BANK oder des High-Tech Gründerfonds ist: Allein können diese Fonds selten etwas an dem Finanzierungsdilemma der deutschen Biotechnologie ändern. Das liegt an der Reglementierung. Natürlich wurde die Erfolgsstory einer BioNTech von Family Offices geschrieben. Ein Problem aber ist auch, dass viele Biotechs in der Phase II ins Ausland verkauft wurden und die VCs damit ihren Schnitt gemacht haben und der eigentliche Erfolg, also die Marktzulassung, nicht mehr unter deutscher Flagge geführt worden ist.
Wie kann sichergestellt werden, dass ein staatlicher Matching-Fonds auch über mehrere Legislaturperioden und unabhängig von politischen Entscheidern langfristig erfolgreich arbeiten kann?
Dr. Kremoser: Lassen Sie uns über den reinen Matching-Fonds hinausschauen: Uns geht es vor allem darum, dass die gesamte Start-up-Szene in Baden-Württemberg gestärkt wird. Und gerade im Vergleich zu Bayern muss man sagen, dass wir schwächeln. Das liegt nicht nur an einem fehlenden Matching-Fonds, sondern auch daran, dass es bei uns zu wenig ansässiges privates Kapital gibt, welches besonders in frühen Phasen finanziert. Wie bereits erwähnt, fehlt häufig ein Lead-Investor. Natürlich gibt es private Fonds in Belgien, den Niederlanden und auch in Bayern. Meiner Erfahrung nach investieren diese aber am liebsten dort, wo sie auch ihre bekannten Gesichter regelmäßig wiedersehen.
Wir sollten wirklich versuchen, einige private Venture- und insbesondere Seed-Fonds in der Region anzusiedeln. Es ist für mich immer noch nicht nachvollziehbar, warum in Heidelberg weniger Start-up-Aktivität zu beobachten ist, gemessen an der wissenschaftlichen Exzellenz, als in Berlin oder München. Ein Matching-Fonds würde die Entwicklung boostern, vor allem aber die Ansiedlung privaten Kapitals.
Dr. Bialojan: Wir sehen ja trotz der guten Arbeit einer Evotec BRIDGE oder des BioLabs, dass das Problem der Finanzierung nicht automatisch gelöst ist, obwohl man die Translation mit solchen Instrumenten fördert. Deswegen müssen wir das Problem von zwei Seiten angehen: einerseits die Translation fördern und andererseits privates Kapital ansiedeln, sei es durch einen Matching-Fonds oder durch die Installation zusätzlicher Kapitalmarktinstrumente.
Wir haben in den letzten 20 Jahren viele Gespräche mit Politikern geführt und es erstaunt mich, wie wenig in den Köpfen der handelnden Personen hängengeblieben ist. Im Moment sehe ich bei Herrn Bayaz allerdings ein großes Engagement. Er hat viele unserer Punkte aufgenommen und im Rahmen seiner Möglichkeiten bereits vorangetrieben.
Huber: Meiner Meinung nach schauen VCs sehr gerne auf Orte mit einer besonders hohen Dichte an erfolgreichen Ausgründungen. Deshalb läuft Boston so gut, und ähnlich verhält es sich in München, wo es eine Reihe exzellenter Universitäten gibt. Die Frage ist: Sind die Universitäten in Baden-Württemberg auf das Thema „Start-up-Gründung“ ausreichend vorbereitet?
In der Zusammenarbeit mit der Politik ist es immens wichtig, sich gegenseitig zuzuhören und den kurzen Dienstweg einzuhalten. Was ist Euch wichtig, was ist uns wichtig – gerade in Fragen einer Fondskonzeption. Beide Sichtweisen müssen in einem Lastenheft zusammenfließen und anschließend umgesetzt werden – und zwar auf unkomplizierten Wegen. Ebenfalls wichtig: Die Politik darf sich nicht in das operative Geschäft einmischen.
Dr. Bialojan: Die Nähe zur Politik muss gewährleistet werden. Manchmal habe ich schon den Eindruck, dass der Weg von Stuttgart nach Heidelberg für manch einen etwas zu weit ist. Die vorhandenen Ansätze sind ausgezeichnet. Kürzlich fand ein von BioLabs ausgerichteter Investors Day statt; das Interesse war riesig. Viele Investoren haben ein Extra-Office in München aufgemacht – warum nicht auch in Heidelberg?
Mit der Einrichtung eines neuen Innovationssegments an der Stuttgarter Börse verfolgt BioRN ein weiteres wichtiges Ziel. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Dr. Bialojan: Wir haben das Thema im Herbst ganz konkret bei Herrn Bayaz angesprochen, und er fand es äußerst interessant. Wenig später hatten wir ein Gespräch mit einem Vertreter der Stuttgarter Börse. Der Stand ist im Moment der, dass die Stuttgarter Börse ganz realistisch sagt, man wird kurzfristig kein spezielles Innovationssegment installieren. Die Gründe dafür sind nicht überraschend und wir kennen sie auch von der Deutschen Börse in Frankfurt: Es fehlen Kapazitäten und Analysten.
Natürlich ist es notwendig, ein Anlagevehikel für private Anleger zu schaffen. Viel interessanter ist aber die Tatsache, dass die Stuttgarter Börse ein Tochterunternehmen in den Nordics (NGM = Northern Growth Market) besitzt. Inwieweit hier ein spezielles Biotechsegment installierbar ist, bleibt abzuwarten. Tech ist dort aber auf jeden Fall ein Thema, und es ist explizit vorgesehen, dass kleinere Biotech-IPOs über die Tochtergesellschaft der Stuttgarter Börse in den Skandinavien platziert werden, mit der Möglichkeit eines Dual Listings in Stuttgart. So hätten auch private Investoren einen direkten, lokalen Zugang zur Börse und müssen nicht den Weg beispielsweise über Stockholm gehen.
Dr. Kremoser: Im Rahmen des Zusammenschlusses der skandinavischen Börsen ist es ja durchaus zu kleineren IPOs gekommen. Ich finde es interessant, über einen Exitkanal nachzudenken, der nicht so groß ist wie die NASDAQ. Die Euronext hat es probiert, aber es schwappt nicht auf die DACH-Region über. Natürlich ist die NASDAQ das große Vorbild, aber wir müssen tiefer ansetzen. Der Zusammenschluss der nordischen Börsen hat ja gezeigt, dass es geht. Das Geschäft funktioniert elektronisch. Was aber fehlt, sind die entsprechenden Fonds und natürlich die qualifizierten Analysten, die beurteilen können, ob das Businessmodell eines Unternehmens überhaupt für die Börse geeignet ist. Umso wichtiger ist die Schaffung eines Börsensegments für kleinere IPOs, ergänzt um Analysten und Fonds, die in solchen Segmenten investieren dürfen. Im Moment geht durch Lebensversicherungen und andere „deutsche“ Kapitalsammelstellen viel Geld in ausländische Unternehmen verloren, weil es hier kaum lukrative Unternehmen mit Wachstumspotenzial gibt. Die besten sind angeblich Food-Lieferservices … das ist doch traurig!
Wir müssen kleinere Cross-over-Fonds schaffen, mit deren Unterstützung dann IPOs im zweistelligen Millionenbereich möglich sind. Wenn wir ein elektronisches Netzwerk von zusammengeschalteten Börsen schaffen, dann sind wir in Europa ein ganzes Stück weiter. Natürlich ist es ein weiter Weg bis dahin und Stuttgart ist nur ein einzelnes Element – aber gerade die kleinen Börsen agieren oftmals wesentlich agiler als ihre großen Konkurrenten. Im Bereich Derivate etwa hat die Börse Stuttgart der Frankfurter Börse längst den Rang abgelaufen.
Dr. Bialojan: Ich gebe zu, eine Zeit lang habe ich die kleinen IPOs in den nordischen Ländern ein wenig belächelt. Interessant aber ist, dass die OMX, also ein Zusammenschluss von kleineren Börsensegmenten in Finnland, Schweden und Norwegen, inzwischen von der NASDAQ aufgekauft wurde. Dort laufen zwar immer noch kleine IPOs, aber einerseits fand die NASDAQ dieses Modell offensichtlich sehr interessant und andererseits war es für einige der an den kleineren Börsen gelisteten Unternehmen ein Stimulus, um später auch ein erfolgreiches Listing an der NASDAQ zu realisieren. Generell spricht auch nichts dagegen, sich mit anderen deutschen Börsen zusammenzuschließen. Primär ging es uns im ersten Schritt darum, die erwähnte Disbalance in Baden-Württemberg aufzuheben. Wir sind gespannt, woher nun die Initialzündung kommen wird.
Ist ein entsprechendes Börsensegment auch ein lukrativer Anreiz für Fondsinvestoren, also Limited Partners?
Kring: Das kann man abschließend nicht sagen. Natürlich wollen Limited Partners am Ende ein Multiple zurückbekommen. Es gibt Fonds, die haben trotz bester Berater in ihren Gremien eher durchschnittliche Performance. Entscheidend ist aus meiner Sicht die Industrieexpertise, die man als Fondsverantwortlicher mitbringt, dass man über Risiken und Notwendigkeiten Bescheid weiß. Kein Unternehmen wird sich rein gemäß dem Businessplan entwickeln, das ist ein Fakt – und diese Erkenntnis muss man einkalkulieren.
Ich habe in den letzten 20 Jahren wenige Unternehmen gesehen, die nicht funktioniert haben, weil die Technologie nicht funktioniert hat – ich habe aber viele Unternehmen gesehen, die keinen Erfolg hatten, weil das Management nicht funktioniert hat oder keine ausreichende Finanzierung zustande kam.
Huber: Beim Drug Development ist natürlich das Risiko höher, dass eine Technologie scheitert. In anderen Bereichen, wie Medtech, Digital Health oder Diagnostics, sehe ich andere Themen bedeutender, wenn am Ende ein Unternehmen scheitert, etwa Managementfehler oder weitere Erhöhungen der regulatorischen Anforderungen. Man schätzt den Markt falsch ein, es treten Wettbewerber auf den Plan oder es werden neue Regularien verabschiedet, die es vor allem Start-ups schwerer machen.
Ich wünsche mir ein Börsensegment, welches funktioniert, weil es transparent ist und strenge Selektionskriterien beinhaltet. Wer allerdings stellt diese Kriterien auf? Und schließlich wünsche ich mir eine kritische Masse an Unternehmen, die wiederum eine kritische Masse an Investoren nach sich zieht, die dann über die Börse in diese Firmen investieren können. Hier warne ich davor, diese Diskussion zu kleinteilig zu führen: Nur Agilität vor Größe muss nicht unbedingt funktionieren. Ein nicht zu kleinteiliges System wie die Euronext könnte aus meiner Sicht grundsätzlich funktionieren, denn wir stehen vor allem im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsräumen, insbesondere den USA.
Ich muss jedoch betonen, dass ein IPO nicht immer das einzig wahre Exitszenario ist. Es gibt beispielsweise Lock-up-Periods, da kann man als Investor nicht einfach aussteigen. Und in der Zwischenzeit können sich Börsenkurse auch nach unten entwickeln.
Wir brauchen gute IPO-Möglichkeiten – wir brauchen aber auch ein funktionierendes M&A-Geschäft, damit Drug-Development-Unternehmen z.B. in einer klinischen Phase II aufgekauft werden können. Pharma benötigt weiterhin Innovationen, und dieser Bedarf wird steigen. Pharma ist gut in späten Phasen und Marktzulassungen, ihre Innovationen kaufen sie sich aber zunehmend über die Biotechfirmen. Biotech bleibt daher ein Innovationszulieferer und insbesondere die rote Biotechnologie hat aus meiner Sicht ihre beste Zeit noch vor sich; übrigens ebenso wie die weiße Biotechnologie in Bezug auf die Herausforderungen des Klimawandels.
Dr. Bialojan: Das Ziel kann auch nicht sein, künftig keine M&A-Deals oder Trade Sales zu haben. Wichtig ist ein spezielles Börsensegment als Glied in der Finanzierungskette, um überhaupt in die Lage zu kommen, ein entsprechend attraktiver Partner zu werden.
Allerdings: Auch wenn ich als Biotech über ein IPO als Exitkanal gehe, kann ich im Nachhinein trotzdem erfolgreich mit einem Pharmakonzern zusammenarbeiten oder sogar aufgekauft werden. Um Innovationspotenziale umzusetzen, braucht es Finanzierung und einen funktionierenden Kapitalmarkt. Die Zusammenarbeit mit Pharma kann man davon vollkommen losgelöst betrachten.
Huber: Die Deals werden immer strukturierter und risikoaverser, d.h., die Risiken werden immer breiter verteilt, zugunsten der Pharmafirmen. Auch sehen wir einen weiteren Trend zu anderen Formen der Zusammenarbeit mit Pharma in Form von Partnerships/Alliances. Dieser Punkt könnte für die jungen Unternehmen z.B. interessant sein, um sich Zahlungszuflüsse zu sichern; aus Investorensicht dagegen muss man sich genau ansehen, ob man sich zu früh an einen Partner bindet im Hinblick auf einen späteren Exit.
Dr. Kremoser: Als Unternehmer habe ich hier eine etwas andere Perspektive. In den USA ist es relativ einfach, immer wieder neue Firmen zu gründen und innerhalb von fünf Jahren wieder zu verkaufen, entweder an Pharma oder über Investoren an die Börse zu bringen. Für Unternehmer in Deutschland gestaltet sich dieser Prozess weitaus schwieriger. Natürlich kommen Unternehmer im Falle eines Verkaufs auf ihren Schnitt – aber der deutschen oder europäischen Seele geht es eben nicht nur ums Geld, sondern auch darum, Ideen zu verwirklichen.
Dieser Umstand spiegelt sich insbesondere bei den Orphan Diseases wider. Big Pharma engagiert sich in diesem Bereich nicht, sondern kümmert sich immer nur um die großen Märkte – hier liegt die Chance für Biotechs. Viele an der NASDAQ gelistete Biotechs engagieren sich im Bereich der Orphan Diseases. Und um die Flexibilität und die Vielfalt zu haben, wäre es gut, wenn man beide Optionen hätte, also M&A-Geschäfte und Trade Sales einerseits sowie ein lukratives Börsensegment andererseits.
Natürlich gibt es schon die NASDAQ mit guten Analysten und Cross-over-Fonds – ich wünsche mir aber, dass wir unser Geld nicht explizit in die USA zu tragen, um es dort arbeiten zu lassen. Wir brauchen eine gesamte Kapitalmarktkette in Europa, damit auch Privatanleger, deren Rente eines Tages nicht mehr durch den Staat finanziert wird, die Möglichkeit haben, über kurze Wege an den Erfolgen von Hightech zu partizipieren.
Was sind nun die nächsten Schritte, um die Themen „Matching-Fonds“ und „Innovationssegment an der Börse“ speziell in Baden-Württemberg zum Erfolg zu führen?
Kring: Baden-Württemberg mit den Biotech-Zentrum Heidelberg hat in den letzten Jahren schon wichtige Schritte unternommen. Darüber hinaus wurden auch Technologietransferstellen weiter professionalisiert. Es ist hilfreich, das Matching zwischen allen Beteiligten weiter voranzutreiben. Das garantiert natürlich noch keine neuen „BioNTechs“, denn was im ersten Schritt passieren wird, ist Early Stage.
Dr. Bialojan: Die großen Dinge entstehen nicht von heute auf morgen, sie müssen erst einmal angefangen werden. Wir haben ein paar Sachen losgetreten, und darauf können wir stolz sein, auch auf der Translationsseite. Es sind viel Puzzleteile und natürlich kann ich heute noch nicht absolut behaupten, das ist die Erfolgsstraße!
Ich glaube aber, dass wir in fünf Jahren in Heidelberg ein anderes Bild haben werden – und zwar deswegen, weil wir nicht nur punktuell mehr Geld einfordern, sondern weil wir die gesamte Kette denken, inkl. Translation, Techtransfer und Finanzierung, einschließlich Börse. Die Grundfrage ist: Wie kriegen wir das Innovationspotenzial primär gehoben?
Meine Herren, ich danke Ihnen für Ihre Zeit und für das überaus interessante und informative Gespräch!
Das Interview führte Holger Garbs.
Autor/Autorin
Die Redaktion der Kapitalmarkt Plattform GoingPublic (Magazin, www.goingpublic.de, LinkedIn Kanal, Events) widmet sich seit Dezember 1997 den aktuellen Trends rund um die Finanzierung über die Börse. Ob Börsengang (GoingPublic) oder die vielfältigen Herausforderungen für börsennotierte Unternehmen (Being Public), präsentiert sich GoingPublic cross-medial als Kapitalmarktplattform für Emittenten und Investment Professionals.