Bildnachweis: Rentschler Biopharma SE.
Der digitale Wandel passiert nicht über Nacht. Je nach Unternehmensgröße kann es zwei bis weit über fünf Jahre dauern, bis er zum kontinuierlichen Prozess wird. Tatsächlich muss die gesamte Organisation end-to-end umgestaltet werden – von der Produktion über die Rechnungsstellung und das Supply Chain Management bis hin zum Kundenservice –, um Digitalisierung und Automatisierung zum unternehmerischen und wirtschaftlichen Erfolgsmodell für CDMOs zu machen.
Der Weg in die vernetzte Welt
Es beginnt bei der Infrastruktur. Viele CDMOs sind über Jahrzehnte gewachsen und haben ihre Produktionsstätten schrittweise aufgebaut. Der Umbau bestehender Anlagen – die bisher nur teilweise digitalisiert sind – zu vollautomatisierten und -digitalisierten Prozessen erfordert sorgfältige Planung, ausreichend Zeit und finanzielle Mittel. Im Vergleich hierzu können neue Anlagen direkt dem State of the Art gemäß geplant und gebaut werden.
Ein ähnliches Bild zeigt sich beispielsweise bei Dokumentationsprozessen. Eine globale Studie der Life-Sciences-Industrie durch MasterControl[1] aus dem Jahr 2023 zeigt, dass 12% der befragten Unternehmen noch manuell mit Papier arbeiten, während 52% teilweise digitalisiert sind und 35% ihre Prozesse weitgehend vernetzt haben. Lediglich 2% operieren bereits in einer intelligenten Produktionsumgebung. Der Weg zum Digitalen mag eine große Hürde sein, er scheint aber machbar: Schließlich geben 63% der Vertreter der Biologics-Industrie (Biopharma) an, bereits zum großen Teil vernetzt zu arbeiten.
Für CDMOs bedeutet das mehr denn je, Datensicherheit, Datenintegrität, Data Governance und Compliance mit internationalen Datenschutzregularien sicherzustellen – denn in einer vollständig digitalisierten und automatisierten Produktionsumgebung sollten Kunden und Mitarbeitende jederzeit sicheren Zugriff auf ihre Daten haben.
Die innovative Kraft der Digitalisierung und Automatisierung
Die Liste der Herausforderungen könnte um viele Punkte erweitert werden. Da stellt sich die Frage: Ist es das wert? Die Antwort ist ein klares Ja! Sind die Hürden erst gemeistert, können gut aufgestellte CDMOs profitieren und flexibler auf Marktveränderungen oder individuelle Kundenbedürfnisse reagieren.
Hier sind einige der positiven Auswirkungen:
- Effizienzsteigerung und Produktqualität: Durch die digitale Überwachung aller Prozessschritte können Batchzyklen verkürzt werden. Fehler im Ablauf oder bei Geräten lassen sich schneller erkennen, was sich positiv auf die Produktqualität auswirkt. Zudem können Wartungszeiten reduziert und präventive Wartungstermine direkt in die Produktionsplanung integriert werden.
- Freisetzung von Kapazitäten bei Mitarbeitenden: Die digitale Überwachung von Prozessen und Daten verschafft Mitarbeitenden mehr Zeit für Kundenbetreuung, interne und externe Projekte, Innovation und Kreativität. In einem kreativen Umfeld entstehen neue Ideen – denken Sie nur an die Erfindung der Post-it-Blöcke von 3M.
- Kundenbindung: Kunden erwarten Transparenz bzgl. des Status ihrer Projekte. Mit digitalen One-Stop-Shops können sie jederzeit und von überall auf ihre Daten zugreifen. Das schafft Vertrauen, ermöglicht mehr Zeit für Beratung und stärkt die Partnerschaft zwischen CDMOs und ihren Kunden.
Ohne die Menschen geht es nicht
Schlussendlich können Digitalisierung und Automatisierung nur gemeinsam mit den Mitarbeitenden erfolgreich sein. Das Management hat hierbei die Aufgabe, den Change-Prozess mit den Menschen zu gehen, ihnen das Warum zu erklären und verständliche Sorgen vor dem Neuen zu nehmen. Hinzu kommt, dass sich mit der Transformation auch immer Aufgabenfelder verändern. Damit einhergehend ist im Bereich der Biotechnologie eine Entwicklung von drei neuen Rollen zu erwarten:
- Der „Bio Data Engineer“: Dieser Ingenieur oder Wissenschaftler besitzt eine hohe Affinität zu Datenthemen. Er versteht sowohl die IT-Seite als auch Daten in ihren Kontext zu setzen.
- Der „Bio Data Scientist“: Dieser Experte führt statistische Auswertungen, Mustererkennung und Modellierungen durch, um Vorhersagen zu treffen. Neben mathematischen Kenntnissen bringt er biologisch-chemisches Grundwissen mit.
- Der „Data Oversight Officer“: Dieser Spezialist für Data Integrity und Data Governance stellt sicher, dass Datenflüsse compliancekonform sind und Kunden sich ihrer Daten sicher sein können.
Wo geht die Reise hin?
2016 erklärte das World Economic Forum[2]: „Wir stehen an der Schwelle einer technologischen Revolution, die die Art und Weise, wie wir leben, arbeiten und miteinander umgehen, grundlegend verändern wird. In ihrem Ausmaß, ihrer Reichweite und ihrer Komplexität wird diese Umwälzung anders sein als alles, was die Menschheit bisher erlebt hat.“ Acht Jahre später befindet sich die Life-Sciences-Branche inmitten ebendieser industriellen Revolution 4.0. Neue Technologien und künstliche Intelligenz beschleunigen die pharmazeutische Entwicklung. Forscher verstehen schneller, wie Krankheiten entstehen, und neue Medikamente gelangen rascher auf den Markt. Für CDMOs ist die Transformation in Richtung Digitalisierung demnach ein Muss: Eine kontinuierliche digitale Anpassung an immer neue Marktrealitäten ist unumgänglich – und in einigen Jahren wird die Digitalisierung wohl zum Teil ihrer DNA geworden sein.
[1] Quelle: MasterControl, The State of Digital Maturity in Pharma and Medtech Manufacturing, 2023
[2] World Economic Forum, The Fourth Industrial Revolution: what it means, how to respond, www.weforum.org/agenda/2016/01/the-fourth-industrial-revolution-what-it-means-and-how-to-respond, 2016
Dieser Artikel ist in der Plattform Life-Sciences-Ausgabe 1-2024 erschienen.
Autor/Autorin
Benedikt von Braunmühl
Benedikt von Braunmühlist CEO vonRentschler Biopharma SE. Er hat einen Bachelorabschluss in Betriebswirtschaft vom Lorange Institute of Business (ehemals GSBA), Zürich. Bevor er zu Rentschler Biopharma kam, war er CEO von HMNC Brain Health, wo er das primär auf Forschung fokussierte Unternehmen zu einer Biopharmafirma mit einer klinischen Pipeline entwickelte.