Wie kann man stimmlosen Menschen ihre Stimme zurückgeben? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Dresdner Start-up Altavo, das beim 9. MedTech Pitch Day am 29. März 2023 in Berlin (Plattform Life Sciences berichtete) seine innovative Medizin-Technologie präsentierte. Eine KI-gestützte technische Hilfe für Menschen, die aufgrund einer Tumor-OP ihren Kehlkopf und damit ihre Stimme verloren haben. Von Urs Moesenfechtel

 

„Wenn Sie Ihre Stimme verlieren, dann verlieren Sie ein großes Stück Lebensqualität.“, so Rudolf von Bünau, Co-Founder und CEO des Start-ups Altavo GmbH aus Dresden. „Heutzutage gibt es zwar verschiedene Möglichkeiten, um stimmlosen Menschen das Sprechen zu ermöglichen, aber jede dieser Optionen hat Nachteile. Wir arbeiten daran, diese zu beseitigen.“

Bisherige Ersatzstimmen haben viele Nachteile

Ein Beispiel dieser bisherigen Lösungen ist die elektronische Sprechhilfe, ein Hilfsmittel, das eine roboterhaft monotone Stimme erzeugt. Dies kann in Gesprächen störend und stigmatisierend wirken. Eine weitere Option ist das Shunt-Ventil: Dabei wird in eine Verbindung zwischen Luft- und Speiseweg ein Ventil eingebaut, das Luft in den Mundraum umleitet und damit die Bildung einer Ersatzstimme ermöglicht. Das klingt zwar besser als eine elektronische Sprechhilfe, erfordert aber viel Nachsorge und hat ein erhebliches Komplikationsrisiko.

Altavos nicht-invasive Radarsensorik detektiert stumme Sprechbewegungen. Copyright: Altavo GmbH

Die Alternative: Stimmerzeugung mit Radar-Sensorik und künstlicher Intelligenz

Altavo verfolgt deshalb einen grundsätzlich anderen Ansatz, um Stimme zu erzeugen. Das Start-up hat eine nicht-invasive Radar-Sensorik entwickelt, die speziell für die lautlose Spracherkennung konzipiert ist. Sensoren auf der Haut erfassen die Bewegungen des Mundes während des Sprechens. Eine KI errechnet daraus in Echtzeit hörbare Sprache. Diese Sprache kann dann über den Lautsprecher eines Handys ausgegeben werden. Eine weitere große Patientengruppe, die in Zukunft von dieser Technologie profitieren könnte, sind tracheal intubierte Beatmungspatienten. Längerfristig sind auch nicht-medizinische Anwendungen der Technologie wie Kommunikation am Lärmarbeitsplatz oder private Kommunikation im öffentlichen Raum vorstellbar.

Rudolf von Bünau, Ph.D., MBA, Co-Founder und Geschäftsführer / CEO. Copyright: Altavo GmbH
Rudolf von Bünau, Ph.D., MBA, Co-Founder und Geschäftsführer / CEO. Copyright: Altavo GmbH
Dr. Timo Stich, Co-Founder und Geschäftsführer / CTO. Copyright: Altavo GmbH
Dr. Timo Stich, Co-Founder und Geschäftsführer / CTO. Copyright: Altavo GmbH

Altavo plant klinische Pilotstudie für KI-basierte künstliche Stimme

Die Entwicklung hat inzwischen einen Reifegrad erreicht, der es möglich macht das Prinzip der KI-basierten künstlichen Stimme an gesunden Probanden zu zeigen. Das Team plant deshalb bereits eine erste klinische Pilotstudie, die noch in diesem Jahr beginnen soll. Die Ursprünge der Technologie liegen bei der Professur für Sprachtechnologie und Kognitive Systeme und der Professur für Hochfrequenztechnik der TU Dresden. Dort wurde bereits 2017 am Prinzip der radarbasierten lautlosen Spracherkennung gearbeitet. Die Altavo GmbH wurde im Februar 2021 gegründet. Zum Gründerteam gehören ein KI-Experte aus dem ZEISS-Forschungsbereich, zwei ehemalige Führungskräfte der ZEISS-Medizintechniksparte, sowie Forscher der TU Dresden.

Fertigung der technischen Komponenten. Copyright: Altavo GmbH

Nach erfolgreicher erster Seed-Finanzierungsrunde das Scale-up im Blick

Im Dezember 2021 hat Altavo eine vom High-Tech Gründerfonds angeführte Seed-Finanzierungsrunde abgeschlossen. Am Unternehmen beteiligt sind außerdem der Technologiegründerfonds Sachsen, die TUDAG TU Dresden AG und eine Reihe privater Investoren. Die wichtigsten Ziele der Seedphase, wie Teamaufbau und die Hardware-Entwicklung eines klinischen Prototyps für die Pilotstudie, hat das Altavo-Team inzwischen erreicht. Mittlerweile ist das Altavo-Team auf 12 Mitarbeitende angewachsen. Mit eigener Kompetenz in den Bereichen Qualitätsmanagement, Regulatorik und klinische Anwendung ist das Team breit aufgestellt und auf die kommende Phase der Medizinprodukt-Entwicklung vorbereitet. Aktuell wirbt Altavo eine nächste Finanzierungsrunde mit einem Zielvolumen von EUR 4,5 Mio. ein, die die Entwicklung der künstlichen Stimme bis zum Abschluss der klinischen Zulassungsstudie finanzieren soll.

„Wir werden in einen Markt kommen, der in der Hand weniger Hersteller ist und in dem es seit 20 Jahren keine grundlegenden Neuerungen mehr gegeben hat. Wir sind überzeugt, dass das Feld der Stimmrehabilation reif ist für Innovation.“, so Dr. Timo Stich, Co-Founder und CTO des Unternehmens.

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.