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Plattform Life Sciences: Die deutsche Life-Sciences-Branche profitiert aktuell von hohen Investitionssummen – ist das nur ein Coronaeffekt oder ist die Bedeutung der Branche tatsächlich in den Köpfen der Geldgeber angekommen?
Dr. Strohmenger: Ich glaube nicht, dass dies ein spezieller Coronaeffekt ist. Wir haben in den letzten Jahren in der Biotechnologie eine deutliche Outperformance der Investments gegenüber anderen Bereichen gesehen. Dieser Trend hat in den USA begonnen und ist schließlich in Europa angekommen. Darüber hinaus haben wir in Europa auch einige lukrative Börsengänge und Akquisitionen gesehen, von denen die Anleger ganz wesentlich profitiert haben und die den Appetit auf weitere Investments gefördert haben. Ich bin sicher, dass dieser Effekt auch ohne Corona eingetreten wäre, vielleicht getragen von anderen Firmen – denn medizinischen Bedarf und innovative Produkte gibt es genug. Der limitierende Faktor ist vielmehr die Geldseite, die bestimmt, ob und was entwickelt werden kann.
Andererseits konnten wir im letzten Jahr beobachten, dass einige Firmen – in einem möglicherweise überhitzten Umfeld vor allem in den USA – sehr früh an die Börse gegangen sind und die Anleger heute mit Verlusten zu kämpfen haben. Insgesamt waren die letzten sechs bis neun Monate für Anleger in börsennotierte Unternehmen schmerzhaft, denn selbst Flaggschiffe wie Moderna oder BioNTech notieren derzeit weit unter ihren Höchstständen. Wir beobachten außerdem, dass sich infolgedessen viele börsennotierte Firmen in den USA restrukturieren: Während in den letzten Jahren z.B. in Boston und den anderen US-Hubs leitende Mitarbeiter immer wieder von Wettbewerbern gegenseitig abgeworben wurden, was natürlich mit einem Verlust von Know-how einherging, stehen nun Entlassungen auf der Tagesordnung. Europäische Unternehmen verhalten sich in der Personalpolitik deutlich kontinuierlicher und denken langfristiger.
Derzeit befinden wir uns in einer Korrekturphase. Die klinische Entwicklung und Zulassung neuer Wirkstoffe mit staatlicher Unterstützung und innerhalb kürzester Zeit, wie wir es in der Pandemie beobachten konnten, war eine Ausnahmesituation. Zwar ist die Aufmerksamkeit für die Life Sciences in den letzten zehn Jahren auch in Europa weiter gestiegen und der Markt signifikant gewachsen. Es kam zur Etablierung größerer Fonds, die ein Investment länger halten und bis zu einem späteren Stadium finanzieren können. Die Schere zwischen Deutschland und den USA hat sich jedoch auch in den letzten fünf bis zehn Jahren weiter geöffnet. In Europa investieren noch immer zu wenige Spezialisten in den Life-Sciences-Markt, und Generalisten scheuen vor diesem Markt zurück. Das ist insofern sehr schade, als es Deutschland große wissenschaftliche Exzellenz und vielversprechende Innovationsprojekte zu bieten hat, die jedoch daran scheitern, dass sie hierzulande, anders als in den USA, keine ausreichende Finanzierung finden. Dabei liegt in der Biotechnologie die Zukunft – auch für Deutschland.
Biotechnologie wird gerade als „systemrelevant“ eingestuft. Lässt sich so wirklich mehr privates Kapital bewegen?
Leider ist das genaue Gegenteil der Fall. Mit der Ausweitung der Außenwirtschaftsverordnung auf den Pharma- und Medizinbereich sollte ein zunehmender ausländischer Einfluss auf hiesige Firmen verhindert werden. Dieser Einfluss entsteht üblicherweise durch Eigenkapitalinvestments.
Die meisten Unternehmen sind jedoch froh, wenn sie die Unterstützung eines finanzstarken ausländischen Investors gewinnen können. Durch die Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung muss nun jedes einzelne Investment mit substanzieller Beteiligung ausländischen Kapitals durch das Bundeswirtschaftsministerium in einem äußerst bürokratischen Verfahren genehmigt werden. Die nötige Expertise ist dort aber nur sehr begrenzt vorhanden, insbesondere hinsichtlich der Relevanz einer Arzneimittelentwicklung für die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Also erfolgt eine Konsultation mit dem Bundesgesundheitsministerium, das seine Einschätzung wieder an das BMWK zurückspielt. Meiner Erfahrung nach nimmt ein solches Genehmigungsverfahren mindestens vier Wochen in Anspruch und schreckt internationale Investoren ab.
Welchen Ansatz verfolgt Wellington Partners bei seinen Investitionen? Auf welche Trends setzen Sie?
Während man früher nur in eine sehr begrenzte Anzahl an therapeutischen Ansätzen investieren konnte, existiert heute eine Vielzahl von Modalitäten: von Small Molecules über Proteine, Antikörper und Peptide bis hin zu RNA- und DNA-basierten Wirkstoffen. Hinzu kommen die vielfältigen Kombinationsansätze, z.B. mit viral basierten Delivery-Technologien, sowie zelluläre Therapien bis hin zu (Xeno-)Organtransplantationen. Ich glaube, wir erleben gerade in vielen Bereichen einen Paradigmenwechsel und stehen vor grundlegenden Durchbrüchen in der Medizin. Die Trends sind parallel und sehr vielfältig.
Nehmen wir als Beispiel die Onkologie: Während man früher noch glaubte, man müsse eine möglichst giftige Substanz entwickeln, welche die Krebszellen abtötet, versteht man heute, wie das Immunsystem funktioniert und wie es Krebszellen wirksam angreifen und beseitigen kann. Und man versteht auch, wie sich ein Tumor entwickelt, sich an die Mechanismen des Immunsystems adaptiert und diese ausmanövriert.
Schon heute zählen die wenigen verfügbaren Checkpointinhibitoren zu den meistverkauften Medikamenten. Wir wissen aber mittlerweile, dass Tumore eine wahrscheinlich mindestens dreistellige Zahl von unterschiedlichen Mechanismen benutzen, um sich vor dem Immunsystem zu schützen. Unser Portfoliounternehmen iOmx Therapeutics untersucht dieses Universum der Checkpointmechanismen, um neue Targets zu finden, die sich medikamentös adressieren lassen.
Ein anderes Beispiel: Das Unternehmen ITM setzt kurzlebige Radioisotope in Verbindung mit hochspezifischen Antikörpern ein. Auf diese Weise kann man viel zielgerichteter und nebenwirkungsärmer therapieren, selbst bei gestreuten Tumoren.
Die Indikation Sepsis wird aufgrund der Misserfolge in der Vergangenheit oft als „Graveyard“ für klinische Entwicklungsprojekte bezeichnet. Vor Jahren hat Eli Lilly eine, wie wir heute wissen, zu breit angelegte klinische Studie durchgeführt und ist damit gescheitert. Bis heute existiert keine wirksame Therapie gegen den septischen Schock. Dabei sterben weltweit täglich deutlich mehr Menschen an schwerer Sepsis als an COVID.
Bei Sepsis kommt es durch die zugrunde liegende generalisierte Infektion im Zusammenspiel mit einer überschießenden Immunreaktion zur Gefäßweitstellung und einer erhöhten Gefäßdurchlässigkeit sowie in der Folge zur lebensbedrohlichen Störung von Herzkreislauf- und Organfunktionen bis hin zum multiplen Organversagen.
Im voll etablierten septischen Schock tragen nach heutiger Kenntnis deutlich mehr als 400 Entzündungsmediatoren zum Krankheitsgeschehen bei. Die Erfolgsaussichten sind daher gering, wenn man nur einen einzigen Mediator adressiert. Ein wesentlich aussichtsreicherer Weg hingegen ist es, beim Auslöser des septischen Schocks therapeutisch anzusetzen. Adrenomed hat gemeinsam mit ihrer Schwesterfirma SphingoTec das Peptidhormon bio-ADM als diesen Trigger identifiziert und validiert. bio-ADM ist ein Schlüsselregulator des Gefäßtonus und der Gefäßdurchlässigkeit. Etwa ein bis zwei Tage bevor der Patient in einen septischen Schock verfällt, lässt sich eine erhöhte Konzentration von bio-ADM im Plasma messen – lange bevor die meisten anderen Entzündungsmarker dies anzeigen könnten. Unbehandelt kommt es dadurch zu einer Weitstellung der Blutgefäße und zur erhöhten Gefäßdurchlässigkeit, was einen Blutdruckabfall sowie einen Zusammenbruch des Kreislaufs und der Organfunktionen zur Folge haben kann.
Mit einem biomarkergesteuerten therapeutischen Ansatz reguliert der Antikörper von Adrenomed die Konzentration von bio-ADM in den Gefäßen und dem umliegenden Gewebe, um die Gefäßweitstellung rückgängig zu machen und die Barrierefunktion der Blutgefäßwände aufrechtzuerhalten. Damit wird die Funktion der lebenswichtigen Organe verbessert und die Sterblichkeit verringert. Das Unternehmen hat bereits eine klinische Phase-II-Studie mit mehr als 300 Patienten mit septischem Schock erfolgreich abgeschlossen.
Welche weiteren Pläne verfolgen Sie mit Adrenomed?
Im Moment bereiten wir die nächsten Stufen der Unternehmensentwicklung vor. Ein Schritt war z.B. die Ernennung von Dr. Richard Jones zum neuen CEO im März. Mit seiner Hilfe plant die Firma die Durchführung eines pivotalen klinischen Entwicklungsprogramms im frühen septischen Schock in Europa und den USA. Dieses konsequent biomarkergesteuerte Programm wurde von der EMA bereits positiv bewertet. Zudem rechnen wir in den kommenden Wochen mit einem positiven Feedback der FDA.
Für die Durchführung der Studie, die Produktion des Studienmaterials und die letztendlich angestrebte Marktzulassung und -belieferung benötigt Adrenomed natürlich frisches Kapital. Wir sind davon überzeugt, dass eine solche Entwicklung auch in Deutschland finanzierbar ist, sowohl mit inländischem als auch mit ausländischem Kapital, und führen derzeit Gespräche mit großen Investoren.
Ich bin von der Wirksamkeit des Wirkstoffs absolut überzeugt. Nach meiner Ansicht zeichnet sich hier ein phänomenaler Durchbruch in einer Indikation ab, die heute als häufigste Todesursache in Krankenhäusern gilt.
Warum gilt gerade der Kampf gegen Sepsis für Investoren als ein vielversprechendes Segment?
Es wird wie bei der antikoagulativen Therapie, d.h. der Prophylaxe der Blutgerinnung, laufen: Jahrzehntelang gab es in diesem Bereich sehr wenige Entwicklungsprojekte und keine neuen Medikamentenzulassungen, bis schließlich Boehringer und Bayer kurz nacheinander mit neuen Produkten auf den Markt kamen und Blockbuster geschaffen haben.
Ähnlich verhält es sich heute mit dem septischen Schock, wobei hier durch das Fehlen einer spezifisch wirksamen Therapie ein noch deutlich höherer medizinischer Bedarf besteht. Man kann den Patienten bislang nur antibiotisch und mit einer unspezifischen Unterstützung des Kreislaufs und der Organfunktionen behandeln, aber selbst bei einer erfolgreichen antibiotischen Therapie kann er in den septischen Schock fallen und versterben. Adrenomeds therapeutischer Ansatz hat nicht nur bei Sepsis Potenzial, sondern auch bei anderen lebensbedrohlichen Erkrankungen, die im Zusammenhang mit Blutgefäßdurchlässigkeit, Gewebestauungen und Schock stehen. Nur wenige, vor allem kleine Biotechunternehmen verfügen über Entwicklungsprogramme in diesen Indikationen. Die kleineren Unternehmen sind die disruptiven Innovatoren, während die Stärke der großen Konzerne eher in der späteren Vermarktung dieser Innovationen liegt.
Herr Dr. Strohmenger, ich danke Ihnen herzlich für das interessante Gespräch!
Das Interview führte Holger Garbs.
ZUM INTERVIEWPARTNER
Dr. Rainer Strohmenger ist promovierter Mediziner sowie Diplom-Volkswirt und seit 2000 Partner bei Wellington Partners.
Autor/Autorin
Die Redaktion der Kapitalmarkt Plattform GoingPublic (Magazin, www.goingpublic.de, LinkedIn Kanal, Events) widmet sich seit Dezember 1997 den aktuellen Trends rund um die Finanzierung über die Börse. Ob Börsengang (GoingPublic) oder die vielfältigen Herausforderungen für börsennotierte Unternehmen (Being Public), präsentiert sich GoingPublic cross-medial als Kapitalmarktplattform für Emittenten und Investment Professionals.