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Die deutsche Biotechbranche verfügt über volle Pipelines und mehr Kapital als in den Vorjahren. Und das trotz herausfordernder Zeiten, wie die Zahlen im heute veröffentlichten EY German Biotechnology Report 2024 zeigen. Dennoch bleibt die Finanzierungssituation der Branche insgesamt unbefriedigend.

Kapitalaufnahme auf Vor-Pandemie-Niveau

Zwar sammelten im Jahr 2023 Biotech-Startups in der Frühphase nur 203 Millionen Euro an Risikokapital ein, was einem Rückgang von 29 Prozent gegenüber 2022 entspricht und den niedrigsten Wert seit sechs Jahren darstellt, dennoch stieg die Kapitalaufnahme der gesamten Branche um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – auf insgesamt 1,1 Milliarden Euro – an. Dieser Wert bleibt zwar deutlich unter den Beträgen, die während der Corona-Krise in den Jahren 2020 (3,1 Milliarden Euro) und 2021 (2,3 Milliarden Euro) in die deutsche Biotechnologie-Branche flossen, doch liegt er in etwa auf dem Vor-Pandemie-Niveau.

Venture Capital-Investitionen nahmen zu

Positiv ist, dass auch Investitionen in Form von Venture Capital einen Anstieg von 465 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 533 Millionen Euro im vergangenen Jahr verzeichneten, wie die Zahlen des EY-Reports zeigen. Allerdings entfiel fast die Hälfte dieser Summe (255 Millionen Euro) auf ein einzelnes Unternehmen, die ITM Isotope Technologies Munich SE – und sind somit nur bedingt aussagekräftig für die gesamte Branche. Auch sind die Investitionssummen im internationalen Vergleich eher gering: In Deutschland wurden 0,01 Prozent des BIP in Biotech investiert, während es im restlichen Europa 0,02 Prozent und in den USA 0,05 Prozent waren.

Frühphasenfinanzierung ging deutlich zurück

Aus den Zahlen geht ebenfalls hervor, dass die Frühphasenfinanzierung weiterhin herausfordernd bleibt: 2023 sammelten Biotech-Startups in der Frühphase lediglich 203 Millionen Euro ein – was den niedrigsten Wert der letzten sechs Jahre darstellt und deutlich unter dem Durchschnitt dieses Zeitraums (325 Millionen Euro) liegt. Insgesamt gab es 18 Investitionsrunden in der Frühphase, wobei das durchschnittliche Transaktionsvolumen auf elf Millionen Euro schrumpfte, deutlich unter dem 6-Jahres-Durchschnitt von 21,2 Millionen Euro. Ebenso verdeutlicht der Rückgang des Gesamtumsatzes der Biotech-Branche im Jahr 2023 um 51 Prozent im Vergleich zum Vorjahr die Herausforderungen, denen die Branche gegenübersteht. Die Autoren des Berichts führen diesen Rückgang auf die abnehmende Nachfrage nach Covid-19-Impfstoffen zurück. Zusätzlich identifizieren sie als Ursache für die anhaltend unbefriedigende Finanzierungssituation der Branche, dass bedeutende Geldgeber wie Pensionsfonds, Versicherungen und andere institutionelle Investoren in Deutschland nach wie vor nicht verstärkt in risikoreiche Anlageklassen wie Biotech-Unternehmen investieren können.

Anzahl der Beschäftigten in Biotechbranche steigt

Positiv ist jedoch, dass die Biotechbranche in Deutschland wächst: Die Zahl der Beschäftigten stieg um zehn Prozent auf 61.705 Angestellte in 996 Unternehmen (ein Plus von drei Prozent). Diese Unternehmenszahl setzt sich aus 784 Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland und 212 deutschen Tochtergesellschaften zusammen.

Zweites Jahr in Folge ohne Biotech-IPOs

Zum zweiten Mal in Folge gab es keinen Börsengang eines deutschen Biotechunternehmens. Die letzten zehn Börsengänge fanden allesamt an der US-amerikanischen NASDAQ statt, der letzte an einer deutschen Börse im Jahr 2016. Zum Vergleich: In Europa gab es im vergangenen Jahr nur zwei Börsengänge, in den USA dagegen 16 IPOs.

Volle Pipelines lassen hoffen

Dennoch: Die deutsche Biotechbranche ist gut aufgestellt: Die Zahlen zeigen, dass trotz aktueller Herausforderungen und zurückhaltender Investoren die Pipelines deutscher Biotechs besser gefüllt denn je, insbesondere in klinischen Phase-1- und Phase-2-Studien. Die breit aufgestellten Pipelines umfassen innovative Therapien aus verschiedenen Medikamentenklassen, wobei der Fokus weiterhin auf der Krebsforschung liegt.

Künstliche Intelligenz auch in Biotechbranche auf dem Vormarsch

Der Report macht Künstliche Intelligenz als das Top-Thema der Branche aus. Die Anwendungsbereiche seien dabei jedoch so verschieden und riesig wie in wenigen anderen Branchen. Der Bericht zeigt anhand von Beispielen auf, wie die Technologie den Entwicklungsprozess von Arzneimittelkandidaten massiv beschleunigen, Ausfallraten verringern, und bessere Ergebnisse – zum Beispiel in Form völlig neuer oder optimierter Medikamente – liefern kann. Schon heute werden jedes Jahr fast 500 Medikamentenkandidaten mithilfe Künstlicher Intelligenz entwickelt – Tendenz steigend, so die Autoren.

Was der Biotech-Branche Hoffnung macht

Laut Autoren ist die Beliebtheit von ,Biotech Made in Germany‘ bei internationalen Investoren und Kooperationspartnern unverändert hoch, was sie aus der Zusammensetzung der Finanzierungskonsortien bei den gut finanzierten VC-Runden und den anhaltend hohen Transaktionsvolumen bei den Partnerschaften schließen. Auch die Anfang des Jahres erfolgte größte M&A-Transaktion in der Geschichte der deutschen Biotechindustrie gebe Anlass zur Hoffnung: So unterzeichnete MorphoSys eine Übernahmevereinbarung mit Novartis in Höhe von 2,7 Milliarden Euro. Ebenso fand der größte M&A-Exit eines deutschen Biotech-Unternehmens seit 2020 statt, die Übernahme von Cardior Pharmaceuticals aus Hannover durch Novo Nordisk für eine Milliarde Euro.

Report zeigt die Stärke und das Potenzial der deutschen Biotechbranche auf

Trotz Einbußen und Rückgänge zeigt der EY German Biotechnology Report 2024 die Stärke und das Potenzial der deutschen Biotechbranche auf: Die erhobenen Zahlen zeigen eine Branche im Wandel, die sich trotz rückläufiger Frühphasenfinanzierung und Umsatzrückgangs insgesamt positiv weiterentwickelt. Die Stabilisierung der Kapitalaufnahme auf Vor-Pandemie-Niveau und der Anstieg bei Venture Capital-Investitionen geben Anlass zur Hoffnung. Und dennoch: Die anhaltende Schwierigkeit in der Frühphasenfinanzierung ist ein kritischer Punkt ist, der angegangen werden muss, um das langfristige Wachstum und die Innovationsfähigkeit der Branche zu gewährleisten. Die steigende Beschäftigtenzahl und die Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz sind dabei sicher positive Indikatoren für die Zukunft.

Den vollständigen Report finden Sie hier zum downloaden: https://info.ey.com/de-ey-GermanBiotechnologyReport2024-download.html?channel=EYWeb

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.