Bildnachweis: GEC.
Ende Juli beschloss das Bundeskabinett die „Start-up-Strategie“. Sie soll die Rahmenbedingungen für Unternehmensneugründungen und deren spätere Wachstumsphasen zukünftig entscheidend verbessern. Doch es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis sie ihr Potenzial entfalten kann. Zu viele Punkte bleiben wegen ungeklärter finanzieller und juristischer Umsetzungsmöglichkeiten vage. Konkret wird es hingegen seit einigen Jahren in Nordrhein-Westfalen: Dort entwickelt sich mit dem „Rheinischen Revier“ ein breit angelegtes Start-up-Ökosystem. Im Oktober letzten Jahres kam mit dem Global Entrepreneurship Centre (GEC) ein neuer Akteur hinzu. Von Urs Moesenfechtel
Bereits seit einigen Jahren entwickelt sich in Nordrhein-Westfalen mit dem „Rheinischen Revier“ ein breit gefächertes Serviceangebot für innovative KMU und Start-ups. So wurde 2019 das mit rund 24 Mio. EUR geförderte Innovationscluster BioökonomieREVIER initiiert, das ab diesem Jahr weitere 38,5 Mio. EUR für die nächsten sechs Jahre erhält. Es ist jedoch nur eines von über 70 Projekten des mit insgesamt 72 Mio. EUR geförderten Forschungsverbunds „Modellregion Bioökonomie im Rheinischen Revier“.
Zu den bisherigen Akteuren der Transformation ist im Oktober vergangenen Jahres das in Meerbusch bei Düsseldorf ansässige Global Entrepreneurship Centre (GEC) hinzugekommen. Das in seiner Entstehungsphase vom Wirtschaftsministerium des Landes NRW unterstützte GEC erhielt 9,9 Mio. EUR aus dem Programm „STARK – Stärkung der Transformationsdynamik und Aufbruch in den Revieren und an den Kohlekraftwerkstandorten“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie Mittel des Rhein-Kreises Neuss im Rahmen des SofortprogrammPLUS für das Rheinische Revier.
Strukturwandel vorantreiben
Das GEC möchte Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft vorantreiben und dazu die schnelle Skalierung von Deeptech-Start-ups mit Nachhaltigkeitsfokus, sogenannte Sustechs, unterstützen. „Wir wollen innovativen Start-ups generationsübergreifende Entwicklungschancen eröffnen und den Strukturwandel in der Region Rheinland vorantreiben“, so Friedrich Barth, Gründer und CEO des GEC. Der thematische Fokus des GEC liegt auf den Bereichen Textil, Mobilität, Landwirtschaft und Ernährung, Bauen und Wohnen. Es zieht aber auch Investitionen in unterstützende Schlüsseltechnologien wie nachhaltige Energielösungen, Material- und Chemiestoffströme, künstliche Intelligenz und Robotik in Betracht. Bei seinen Investitionsentscheidungen kann das GEC als unabhängiger Innovationshub ungebunden agieren.
„In der Start-up-Strategie werden u.a. der leichtere Kapitalzugang, stärkere Finanzierungsmöglichkeiten, die Gewinnung neuer Talente oder die Digitalisierung als dringende Handlungsbedarfe genannt“, so Barth. „Genau diese adressieren wir mit dem GEC. Es gibt viele Hindernisse, die Sustechs davon abhalten, die erforderliche Größenordnung für eine dauerhafte Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Vor allem ist die Spätphase wagniskapitalfinanzierter Unternehmungen kritisch. Weniger als 1,8% aller deutschen Start-ups erreichen die Investitionsphase der Serie C.“
Geschäftsmodelle fit machen
Um Start-ups gerade in diesem „Second Valley of Death“ zu unterstützen, hat das GEC ein mehrteiliges Angebot entwickelt, das auf den drei Säulen „Factory“, „Catalyst“ und „Technology“ ruht. Dabei dient die Factory der Überbrückung von „Skalierungslöchern“: Start-ups erhalten häufig gerade zu Beginn ihrer Gründung genügend Fördermittel für Innovationsforschung, die aber leider endet, wenn es darum geht, in Hardware, Prototypen, Anlagen, außeruniversitäre Laborkapazitäten und weitere Maßnahmen zur Skalierung zu investieren und das Geschäftsmodell nachhaltig fit für den Markt zu machen. Hier hilft das GEC mit der Suche nach neuen Investoren, klärt Rechtsfragen, vermittelt Produktions- und Laborflächen, verbessert den IT-Workflow und unterstützt bei der Rekrutierung geeigneter Fachleute. Im Catalyst bereitet das GEC früherphasige Start-ups für die Factory-Qualifizierung vor. Im Fokus stehen solche Jungunternehmen, die bereits gegründet, aber den Sprung zum funktionsfähigen Produkt und konsistenten Geschäftsmodell noch vor sich haben.
In der Säule „Technology“ wird schließlich an der Hardware gearbeitet: Flächen für Labore und erste Produktionsschritte können beim AREAL BÖHLER in Meerbusch bei Düsseldorf angemietet werden, damit die Entrepreneure in den ersten Skalierungsphasen weiter am Standort bleiben könnten. Flankierend zu allen Angeboten sollen im Bereich „Academy-Teaching“ zukünftig Fachleute aus den GEC-Fokussektoren ihr Wissen mit jungen Führungskräften teilen. Zur Realisierung der einzelnen Säulen kooperiert das GEC derzeit mit der internationalen Kanzlei Bird & Bird, mit SAP im Bereich ERP und IT-Infrastruktur, mit Wirtschaftsprüfern von Deloitte, der Think Beyond Foundation aus dem Silicon Valley und dem European Chemistry Partnering.
Generationenmodell fördern
„Als Kleininvestor fördern wir die qualifizierten Scaling-Factory-Teilnehmenden mit bis zu 200.000 EUR in Form von Dienstleistungen, technischer Ausrüstung oder Vorfinanzierung von Forschungstätigkeiten. Werden größere Anschaffungen nötig, helfen wir dabei, einen Investor zu finden, was für Start-ups ein riesiges Problem ist“, so Barth. „Wir versuchen, unsere Portfoliounternehmen so fit zu machen, dass sie in weiteren Kapitalrunden bestehen können. Wir nehmen auch Wandelanleihen an unseren Portfoliounternehmen, Private Equity oder erheben eine erfolgsabhängige Gebühr, wenn wir eine nächste Investitionsrunde vermitteln. Unser Plan ist es, einen eigenen Impact-Fonds aufzulegen.“ Darüber hinaus sollen erfolgreich skalierte Unternehmen einen Teil ihrer Unterstützung in die Förderprogramme des GEC zurückgeben und dadurch zur Entwicklung der nächsten Scale-up-Generation beitragen. Laut Barth soll dieses Generationenmodell nicht nur die Erfolgreichen mit den Neuen verbinden, sondern der gesamten Region dauerhafte Entwicklungschancen eröffnen.
Nachhaltig Mittelstand ansiedeln
Das GEC besteht seit rund einem Jahr. In dieser Zeit konnte es bereits 16 Mio. EUR an Fremdkapital einwerben und hat vier sogenannte Calls for Solutions in den Feldern nachhaltige Textilwirtschaft, Kunststoffalternativen in der Landwirtschaft, Energieresilienz und Zukunft der Ernährung ausgerichtet. Die jüngste Ausschreibung im Bereich Bauen und Wohnen wird bei der Investorenveranstaltung GEC Forum im Oktober vorgestellt. Laut GEC wurden bereits über 1.300 Unternehmen für die angelaufenen Programme gesichtet. Ziel ist, bis zu 20 „Factory-Betreuungen“ jährlich durchzuführen und jedes Trimester eine neue „Catalyst-Kohorte“ zu starten. Mindestens 10% der begleiteten Factory-Scale-ups sollen an die Region gebunden werden, um einen neuen, nachhaltigen Mittelstand anzusiedeln – zur Steigerung der Beschäftigungsresilienz im Rheinischen Revier, der Förderung von Klima- und Umweltschutz und dem Aufbau einer innovativen Kreislaufwirtschaft. Während die Start-up-Strategie der Bundesregierung also operativ noch reifen muss, ist man in Düsseldorf bereits ambitioniert bei der Sache.
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.