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Algorithmen und Big Data-Plattformen spielen in der Forschung und Entwicklung von neuen Arzneien eine zunehmende Rolle. Doch welchen medizinischen, finanziellen und vor allem kommerziellen Mehrwert liefert der Einsatz dieser neuen und teuren Technologien wirklich? Eine aktuelle Studie[1] geht diesen Fragen nach.
Computational Science – ergo künstliche Intelligenz und computergestützte Simulationen – wird in immer mehr Bereichen der Arzneimittelentwicklung eingesetzt. Biotechunternehmen sind hier die Vorkämpfer. Eine aktuelle Studie der amerikanischen Duke University gemeinsam mit den Biotechnologieexperten von der BB Biotech AG soll deshalb Aufschluss darüber geben, wie sich durch automatisierte Algorithmen die wachsenden Datenmengen in der biopharmazeutischen Industrie für die eigenen Investments effizienter nutzen lassen.
Untersucht wurden das Geschäftsmodell, die strategische Ausrichtung sowie die Art der Finanzierung. Die Geschäftsmodelle unterscheiden sich zum Teil deutlich. Lediglich 21% aller untersuchten Firmen entwickeln und finanzieren eine eigene Pipeline mithilfe von computerbasierten Technologien.
Algorithmen und Big-Data-Plattformen sollen die Vernetzung und Auswertung von Daten mithilfe von KI in präklinische und klinische Phasen zeit und kostensparen der durchführbar machen. Gleichzeitig verspricht man sich immer genauere Datenanalysen, die das Risiko klinischer Fehlschläge kontinuierlich reduzieren. Nicht zuletzt sollen durch KI-optimierte Verfahren in der Wirkstoffsuche klinische Kandidaten identifiziert werden, deren molekulare Strukturen deutlich verbesserte Wirkmechanismen in den unterschiedlichsten Krankheitsfeldern aufweisen.
Fokus Algorithmen und Frühforschung
93% der in der Studie analysierten Unternehmen geben an, dass sie dank ihrer neuen Algorithmen einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz bei der Medikamentenentwicklung haben. Dagegen glauben nur 6,5% der Unternehmen, durch die eingesetzte Hardware einen solchen Vorteil aufzuweisen. Ein wesentlicher Grund für diese Diskrepanz ist der Kostenfaktor: Während neue Algorithmen kostengünstig entwickelt werden können, ist der Kapitalbedarf für Hardware um ein Vielfaches höher. Dabei werden hauptsächlich Wechselwirkungen zwischen Molekülen simuliert. So lassen sich Rückschlüsse auf das Bewegungs und Bindungsverhalten von Molekülen ziehen. Die Biotechunternehmen Relay Therapeutics, in das auch BB Biotech investiert ist, und Alivexis nutzen diese Verfahren für die Studien in ihrer Pipeline.
Bei 37% aller untersuchten Gesellschaften bringt die Integration von KI-basierten Datensätzen in die experimentelle Pipeline-Vorteile für das biologische und klinische Verständnis. Mit wenigen Ausnahmen befinden sich die meisten Unternehmen, die KI-basierte Daten in ihre Pipeline integrieren, noch im frühen Stadium der klinischen Entwicklung.
Nur 28% aller in der Studie berücksichtigten Medikamentenentwickler haben eigene Produkte in fortgeschrittenen klinischen Entwicklungsstadien mit nachgewiesener Wirksamkeit. Am häufigsten angewendet werden die Computational-Science-Verfahren in der Profilerstellung von klinischen Studien und Patienten. Wirkstoffformulierungen und Sicherheitsaspekte spielen bei der KI-basierten Entwicklung von Medikamenten derzeit eine untergeordnete Rolle: Ganze 2,2% bzw. 4,1% aller untersuchten Firmen greifen hier auf computerbasierte Daten zurück. Als größte Hindernisse gelten die physiologische Komplexität der Moleküle für In-silico-Verfahren (computergestützte Methoden) und die hohen Kosten der Invivo-Tests, d.h. Experimente, die in lebenden Organismen durchgeführt werden.
Mehr Partnering Deals und Börsengänge
Die Analyse der Finanzierung ergab, dass die meisten Gelder von PrivateEquity und Aktienfonds in Unternehmen fließen, die sich im klinischen Frühstadium befinden und eigene Algorithmen entwickeln. 237 Mio. USD beträgt die durchschnittliche Finanzierung bei Unternehmen, die ihre KI-Technologien für die präklinische Wirkstoffsuche oder Projekte im frühklinischen Stadium einsetzen. Etwas höher liegt die durchschnittliche Finanzierung mit 300 Mio. USD bei Unternehmen, die Algorithmen für die Analyse von Patientendaten entwickeln. Ganz anders sieht es bei Unternehmen aus, die auf kapitalintensive Hardware setzen: Hier liegt die durchschnittliche Finanzierung bei über 622 Mio. USD.
Die Tatsache, dass die Zahl der Börsengänge in den letzten drei Jahren ebenso zugenommen hat wie der allgemeine Mittelzufluss deutet darauf hin, dass das Segment der im Bereich Computational Science tätigen Biotechunternehmen einen Reifeprozess durchläuft. Bei den Partnering Deals mit der Pharmaindustrie liegt der Fokus eindeutig auf dem Servicegeschäft, was sich in der hohen Zahl von Unternehmen widerspiegelt, die Dienstleistungen und nicht die eigene Wirkstoffsuche als Geschäftsmodell definiert haben.
Die Frage nach dem kommerziellen Mehrwert
Aber inwiefern wird Computational Science einen Mehrwert für die zugelassenen Medikamente schaffen, sowohl in Bezug auf die Anzahl als auch auf den therapeutischen Nutzen der zugelassenen Produkte? Die Studienergebnisse lassen hier noch keine eindeutigen Schlüsse zu. 71% aller Projekte befinden sich noch in der präklinischen Phase. Die Substanzen, die derzeit die klinischen Phasen I und II durchlaufen, sind ausschlaggebend dafür, ob in Zukunft mithilfe von KI und Big Data besser wirkende und kostengünstigere Medikamente auf den Markt kommen. Derzeit konzentrieren sich die meisten der untersuchten Unternehmen auf die beiden Krankheitsfelder Onkologie und Neurologie. Antikörper und Peptide sind molekulare Strukturen, bei denen KI angesichts der steigenden Zulassungszahlen gut aufgestellt ist, um in Zukunft eine prägende Rolle zu spielen, etwa um die hohen Produktionskosten zu senken. Derzeit machen niedermolekulare Substanzen noch 61% aller laufenden klinischen Projekte aus, in denen KI-basierte Technologien integriert sind.
Daher ist es noch zu früh, konkrete Schlussfolgerungen zu ziehen, um den Erfolg von Computational Science mit den Erfolgsraten klinischer Produkte zu vergleichen, die auf anderen Technologien basieren. Die wachsende Zahl von Kooperationen ist ein deutliches Indiz dafür, dass Computational Science einen neuen Reifegrad erreicht hat. Insgesamt werden die Entwicklungen und Ergebnisse der nächsten Jahre zeigen, wie der Einsatz von Computational Science die Entwicklung und Kommerzialisierung innovativer Therapien beschleunigt.
[1] Markey, C., Croset, S., Woolley, O. R., Buldun, C. M.; Koch, C., Koller, D., Reker, D. (2024): Characterizing emerging companies in computational drug development. In: Nature Computational Science, 4, S. 96–103.
Autor/Autorin
Dr. Daniel Koller
Dr. Daniel Koller trat 2004 bei Bellevue Asset Management ein und ist als Senior-Portfoliomanager im Bereich Biotechnologie mit Spezialgebiet Herz-Kreislauf-Krankheiten tätig. Seit 2010 ist er Head Investment Management Team der börsennotierten Beteiligungsgesellschaft BB Biotech AG. Vor seinem Eintritt bei Bellevue Asset Management war er vier Jahre in der Finanzindustrie tätig – zuerst in der Funktion als Aktienanalyst bei UBS Warburg, danach als Private-Equity-Investor bei equity4life. Dr. Koller studierte Biochemie an der ETH Zürich und doktorierte im Bereich Biotechnologie während seiner Tätigkeit bei Cytos Biotechnology.