Die Medizin hat sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt – insbesondere im Bereich der Immuntherapien sowie der innovativen Zell- und Gentherapien. Diese vielversprechenden Therapieansätze sind in der Lage, bislang schwer behandelbare Krankheiten wirksamer anzugehen, teilweise sogar mit Potenzial zur Heilung. Doch zwischen Perspektive und Realität besteht eine wesentliche Hürde: Hohe Kosten und komplexe Zulassungsverfahren bremsen die breite Anwendung dieser Therapien. Eine intensivere Zusammenarbeit und die nahtlose Integration verschiedener Entwicklungsphasen könnten jedoch den Weg zu effizienteren, maßgeschneiderten und vor allem wirtschaftlich tragbaren Lösungen ebnen. Leipzig zeigt sich dabei als Vorreiter.
Derzeit treiben viele akademische Forschungseinrichtungen und pharmazeutische Unternehmen die Entwicklung von Zell und Gentherapien (ZGT) voran: Denn diese gelten nicht nur als zukünftige „Wunderwaffe“ gegen Krebs, sie könnten auch für zahlreiche Erbkrankheiten zum Gamechanger werden. Jüngst entwickelte gentherapeutische Arzneimittel nutzen beispielsweise adenoassoziierte Viren (AAV), die selbst keine Krankheiten verursachen, aber defekte menschliche Gene durch funktionale Gene ersetzen. Allein diese Art ZGT könnte gemäß Annahmen zur Behandlung von etwa 7.000 erblichen Krankheiten eingesetzt werden.
Herausforderungen in der Entwicklung von Zell- und Gentherapien
Doch wie bei den meisten modernen Therapien ist der technische und personelle Aufwand, der für die Entwicklung, Zulassung und Einführung von ZGT aufgebracht werden muss, enorm. Die Herstellungskosten pro patientenindividuellem Zelltherapeutikum liegen zwischen 200.000 und 300.000 EUR. Gentherapeutika für sehr seltene Erkrankungen liegen mit bis zu 2 Mio. EUR noch einmal deutlich darüber. Behandlungsmethoden wie Chemotherapie oder die Stammzelltransplantation mit dauerhafter Immunsuppression sind zwar ähnlich zeit-, personal- und kostenintensiv – vor allem angesichts gesellschaftlicher Folgekosten wie Arbeitsausfällen und Patientenpflege –, doch sind sie im Gesundheitssystem bereits fest verankert. Dadurch stehen ZGT großen Bevölkerungsgruppen noch nicht zur Verfügung.
ZGT wären wirtschaftlich konkurrenzfähiger, würden der Zeitaufwand und die damit verbundenen Kosten für die Grundlagenforschung, die frühe Medikamentenentwicklung, GLP-Studien, Präklinik, Herstellung von Prüfmustern, klinische Prüfungen und kommerzielle Anwendungen optimiert. Das ließe sich durch eine bessere Verzahnung und ganzheitliche Integration dieser Elemente an einem Ort bzw. aus einer Hand erreichen. Bisher ist aber ein solches Ineinandergreifen, besonders in Europa, eher die Ausnahme als die Regel. Das liegt daran, dass nur wenige pharmazeutische Unternehmen sämtliche erforderliche Komponenten der Entwicklung und Herstellung von Zell- und Gentherapeutika, einschließlich der klinischen Prüfung und Zulassung, selbst abdecken
Ganzheitliche Herangehensweise nötig
Medikamentenpipelines werden größten teils durch die akademische Forschung und kleinere Star-ups gefüllt, GLP-Studien und die Präklinik oft an spezialisierte Unternehmen oder anwendungsorientierte Forschungseinrichtungen ausgelagert. Die kostenintensive klinische Prüfung erfolgt wiederum durch finanzstarke pharmazeutische Unternehmen und die Herstellung zugelassener Medikamente durch Lohnhersteller mit entsprechenden Produktionskapazitäten. ZGT, die eine Zulassung als sogenanntes Advanced Therapy Medicinal Product (ATMP) anstreben, sind in ihrer Entwicklung weitaus komplizierter und aufwendiger als herkömmliche Medikamente. Das liegt vor allem an den personalisierten Therapieansätzen sowie dem biologischen Ausgangsmaterial. Lebende Zellen, ob vom Patienten selbst oder von gesunden Spendern, sind nur bedingt standardisierbar und erfordern biologisches Know-how im Umgang und in der Prozessierung. Sowohl die präklinische Prüfung als auch der Prozesstransfer in GMP-konforme Herstellungsprozesse nach pharmazeutischen Standards erfordern neben entsprechender Infrastruktur auch die Expertise für sämtliche Entwicklungsschritte sowie die enge Anbindung an klinische Studien und Anwendungszentren.
Leipzig: Brückenbau zwischen Forschung und klinischer Anwendung
In Europa wird diese notwendige Brücke zwischen Forschung und klinischer Anwendung derzeit vor allem in Leipzig geschlagen. Mit dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI ist dort eine mittlerweile mehr als 17-jährige Expertise in der Herstellung von ZGT und der Begleitung von Studien und Zulassungsprozessen vorhanden. Hier werden experimentelle Stadien der Medikamentenentwicklung durch GLP-Prüfung, Prozessentwicklung und die GMP-konforme Herstellung klinischer Prüfmuster in die Anwendung überführt. Das Fraunhofer IZI war bereits mit der Produktion der klinischen Prüfpräparate für die europäische Zulassungsstudie an der weltweit ersten CAR-T- Zelltherapie namens Kymriah (Hersteller Novartis) beteiligt. Seit 2006 wurden am Fraunhofer IZI mehr als 3.500 Zelltherapieprüfmuster für klinische Studien hergestellt, darunter auch über 500 CAR-T-Zellprodukte. Vergleichbares gibt es in Europa derzeit nicht.
Das Fraunhofer IZI adressiert auch den steigenden Bedarf an Zell- und Gentherapeutika, indem es, gemeinsam mit klinischen und industriellen Partnern, neue Technologien zur (viralen und nicht viralen) Modifikation von Immunzellen entwickelt. Ebenso werden neue Effektorzellen für zellbasierte Therapien, wie die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) und Makrophagen, untersucht und geprüft. Ein zentraler Fokus der Fraunhofer-IZI-Forschung liegt dabei auf der Entwicklung von CAR-NK-Zellen zur Behandlung solider Tumore, die bislang durch die CAR-T-Zelltherapien nicht effektiv adressiert werden können.
Knotenpunkt SaxoCell
Eine enge Zusammenarbeit mit zertifizierten und erfahrenen Anwendungszentren in unmittelbarer räumlicher Nähe fördert das Innovationsklima und ermöglicht einen raschen Transfer von Wissen und Anwendungen. Zu diesen Zentren zählen die Universitätskliniken Leipzig und Dresden sowie das Klinikum Chemnitz. Dank ihrer engen Verbindung zur akademischen Welt ist ein nahtloser Übergang von der Forschung zur klinischen Praxis gewährleistet. Das Fraunhofer IZI ist auch ein zentrales Mitglied des Innovationsclusters SaxoCell. Dieses Konsortium sächsischer Forschungsinstitute, Krankenhäuser und Industriepartner ist das einzige vom BMBF geförderte Zukunftscluster, das ZGT mit Automatisierungstechnologien, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz zusammenführt.
Perspektiven für Leipzig in den Life Sciences
Dank dieses vernetzten Life-Sciences-Ökosystems hat Leipzig das Potenzial, sich als weiterhin führender europäischer Knotenpunkt für regulatorische Präklinik, Prozessentwicklung und ZGT-Herstellung zu behaupten. Daneben machen sich Stadt und Region auch im Bereich von Zukunftsbranchen wie Diagnostik, Digital Health, Robotik und künstlicher Intelligenz einen Namen. Die Voraussetzungen für zukünftiges Wachstum sind gut, denn Stadt- und Landespolitik haben nicht nur die strategische Bedeutung dieser Technologien erkannt: Alle beteiligten Akteure sind sich auch bewusst, dass neben der Bereitstellung entsprechender Förderinstrumente und finanzieller Mittel die weitere Vernetzung und Kooperation miteinander zukunftsentscheidend sein wird.
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.