Bildnachweis: SA Studio – stock.adobe.com.

Als innovativer medizinischer Biotechstandort verliert Deutschland im Vergleich zu anderen Nationen seit Jahren an ­Attraktivität. Gründe dafür sind der zunehmende Fachkräftemangel, herausfordernde Entwicklungs- und Genehmigungsverfahren oder die anhaltende Energiekrise. Obwohl die Liste innovativer Entwicklungen von Jahr zu Jahr länger und der Impact der ­biotechnologischen Innovationen für die Gesundheitsversorgung von Patientinnen und Patienten immer größer wird, steht die Frage im Raum: Lohnt es sich, in die deutsche Biotechnologie zu investieren?

 

Das deutsche Gesundheitssystem ist sowohl im europäischen als auch im internationalen Vergleich nach wie vor gut aufgestellt. Die Gesundheitsausgaben in Deutschland beliefen sich im Jahr 2022 auf knapp 500 Mrd. EUR. Das entspricht 12,8% des BIP und Ausgaben von über 5.900 EUR pro Person. Im Jahr 2022 zählte Deutschland 1.893 Krankenhäuser und versorgte 16,8 Millionen ­Patientinnen und Patienten.[1] Möglich ­machen dies unter anderem die Entwicklungen im Bereich der Biotechnologie. Laut dem in diesem Jahr publizierten ­BioTechnologie Kursbuch 2024 von Biocom zählte Deutschland im vergangenen Jahr 798 Biotechfirmen; das sind 3% mehr als im Vorjahr. Mit diesem Wachstum stieg auch die Zahl der Beschäftigten um 11% auf 38.120 – und damit der Anteil an Fachkräften.[2]

Gesundheitsversorgung in Deutschland

Die deutsche Biotechbranche ist also im Aufwind und Deutschland ist weltweit einer der wichtigsten Biotechstandorte. Besonders der medizinische Biotech­bereich, der neben diagnostischen Produkten vor allem durch therapeutische Entwicklungen und Produktionen geprägt ist, sticht hierbei hervor.[3] Die Anzahl der biotechnologischen Entwicklungen steigt von Jahr zu Jahr und ermöglicht dadurch ­große ­Fortschritte in der Behandlung von schweren Krankheiten.[4]

Therapiegebiete und ­Biotechnologien

Die klinische Pipeline der deutschen ­Biotechunternehmen zeigt eine breite Streuung der Forschungsschwerpunkte über verschiedene Therapiegebiete, Wirkstoffklassen und Technologien (Abb. 1). Die erfolgreichsten Entwicklungen der Biotechnologie für die Gesundheitsversorgung finden sich aktuell vor allem in der Onkologie, welche der intensivste ­Forschungsbereich der Pharmaindustrie bleibt – denn Krebs ist in Deutschland mit über 230.000 Todesfällen pro Jahr immer noch die zweithäufigste Todesursache. Bis 2050 wird die Krebslast weltweit um 61% ansteigen; das entspricht 31 Mio. Neu­diagnosen. Seit 2019 wurden mit 125 neuartigen onkologischen Arzneimitteln fast doppelt so viele Wirkstoffe wie im Zeitraum von 2014 bis 2019 neu zugelassen. 2023 wurden 25 neuartige Wirkstoffe ­weltweit zur Behandlung von Krebs ein­geführt.[5] Aber auch Entwicklungen im ­Bereich der Immunologie, inkl. Anti­infektiva und Autoimmunpräparate, könnten in den nächsten Jahren Gamechanger für die Gesundheitsversorgung von ­Patientinnen und Patienten sein.

Abb. 1: Deutsche klinische Pipeline nach Therapiegebiet und Wirkstoffklasse im Jahr 2023

Abbildung 1: Deutsche klinische Pipeline nach Therapiegebiet und Wirkstoffklasse im Jahr 2023 (Quelle: EY Analyse und Biomedtracker
Quelle: EY Analyse und Biomedtracker[6]

Erfolgsentwicklungen für die onkologische Versorgung

Deutsche Biotech-Unternehmen fokussieren sich in ihren Forschungen und Entwicklungen auf verschiedene vielversprechende Trends mit großem Potential (Abbildung 2). Das bekannteste Beispiel für eine erfolgreiche biotechnologische Entwicklung der vergangenen Jahre ist die Entwicklung des mRNA-basierten Covid-19-Impfstoffs, der innerhalb kürzester Zeit eine Zulassung in Europa erhielt – gleich mehrere Schlagzeilen in einem Produkt. Die mRNA-Technologie wird zudem nicht nur gegen andere Infektionskrankheiten weiterentwickelt, sondern auch zur Behandlung und Prävention von Krebs erforscht. Die CRISPR/Cas9- und die Gen-Editing-Technologie ermöglichen eine präzise genetische Modifikation, nicht nur bei Krebs, sondern auch bei genetischen Erkrankungen und Orphan Diseases. Es wird an der Weiterentwicklung der CAR-T-Zelltherapie zur Behandlung unterschiedlicher Krebsarten gearbeitet. Mit Hilfe der Gene- bzw. Single-Cell-Sequencing-Methode können basierend auf der Genexpression personalisiert Therapieansätze entwickelt und Krebszellen somit spezifisch mit Präzisionsmedizin gechallenged werden. Es werden verschiedene Antikörpertherapien entwickelt, die zum Teil bereits zur Behandlung von rezidivierten oder refraktären diffusen großzelligen B-Zell-Lymphomen zugelassen sind. Zudem werden auch Immun-Checkpoint-Inhibitoren, zum Beispiel zur Behandlung von Merkelzell-, Nierenzell- und Urothelzellkarzinomen, entwickelt. Auch 3D-Zellkulturen, Organoide oder die Organ-on-a-Chip-Technologie sind in der Lage, aus Stammzellen funktionale Organkomplexe zu mimen.

Dies stellt einen Meilenstein in der Medikamentenentwicklung dar – auch im Hinblick auf Ersatzmethoden für Tierversuche und das 3R-Prinzip. Ebenso können mithilfe von Bioprinting und 3D-Druck von Geweben ganze Organe gedruckt ­werden, die für die regenerative Medizin und Transplantation von bedeutender ­Rolle sein werden.

Abb. 2: Innovationen deutscher Biotechunternehmen

Quelle: BPI, basierend auf Ernst & Young German Biotechnology Report 2024 und BioTechnologie Kursbuch 2024 BiocomDie erfolgreichsten Entwicklungen der ­Biotechnologie für die Gesundheitsversorgung finden sich aktuell vor allem in der Onkologie, welche der intensivste ­Forschungsbereich der Pharmaindustrie bleibt.
Quelle: BPI, basierend auf Ernst & Young German Biotechnology Report 2024 und BioTechnologie Kursbuch 2024 Biocom

Es lohnt sich in die deutsche Biotech zu investieren

Die Bundesregierung wurde von Ver­bänden, wie dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. (BPI) und Stakeholdern der Pharmawirtschaft auf die verschiedenen Herausforderungen aufmerksam gemacht. Auf diese wurde mit Maßnahmen wie der Pharmastrategie und dem Medizinforschungsgesetz reagiert, wodurch es der deutschen Biotech­branche gelingt, den Aufschwung weiterhin erfolgreich voranzutreiben. Die vielen oben genannten innovativen und viel­versprechenden Technologien – insbesondere im Bereich der Onkologie – bilden die Basis und das Potenzial für eine immer besser werdende Gesundheitsversorgung.

Es muss aber noch besser gelingen, die hervorragenden Forschungsentwicklungen aus Deutschland in die Anwendung zu bringen. Deutschland hat in der Vergangenheit als Biotechstandort geleuchtet, und die vielen Innovationen in den ­Pipelines zeigen, dass Deutschland weiterhin exzellent als Innovationsstandort geeignet ist.

Ja – es lohnt sich, zu bleiben und mit großem Elan in die deutsche Biotech­branche zu investieren. Nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch zum Wohle der Patientinnen und ­Patienten.

[1] www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/_inhalt.html, Statistisches Bundesamt
[2] https://biotechnologie.de/statistics_articles/39-vorab-deutsche-biotechnologie-branche-waechst-gegen-den-trend, BioTechnologie Kursbuch 2024, Biocom
[3] VDI-Handlungsempfehlungen 2024
[4] www.vfa.de/download/biotech-report-2024.pdf, BCG und VFA 2024: Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2024
[5] www.iqvia.com/insights/the-iqvia-institute/reports-and-publications/reports/global-oncology-trends-2023
[6] Ernst & Young German Biotechnology Report 2024

Der BPI plant den Ausbau des Geschäfts­felds BioPharm und etabliert weitere Bereiche wie Onkologie und Immunologie. Dadurch fördert der BPI gezielt Biotechfirmen in diesen Bereichen und sorgt für den Erhalt und die Verbesserung der investitionswürdigen Gesundheitsversorgung.

Autor/Autorin

Dr. Fábia Lobo
Dr. Fábia Lobo
Referentin Innovation & Forschung at Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI e.V.) | Website

Dr. Fábia Lobo ist Referentin im Bereich Innovation & Forschung im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI e.V.)

Dr. Pablo Serrano
Dr. Pablo Serrano
Geschäftsfeldleiter Innovation & Forschung / Biotechnologie at Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI e.V.). | Website

Dr. Pablo Serrano ist Geschäftsfeldleiter Innovation & Forschung / Biotechnologie im Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI e.V.).