KI-Tools und Large Language Models (LLMs) werden bereits als Teil von Standardsoftwarelösungen eingesetzt. ChatGPT und andere LLMs können nicht länger als bloßes „Nice-to-have“ angesehen werden. Die Auswirkungen könnten weit­reichende Konsequenzen für die M&A-Versicherung haben.

Die denkbaren Anwendungsbereiche für KI sind vielfältig. Eine unmittelbare Umsetzungsmöglichkeit könnte schon bald die Auswertung elektronischer Datenräume (VDRs) sein.

  • Zusammenfassen und Auswerten von Dokumenten

In einem Testfall war ChatGPT in der Lage, einen anonymisierten 50-seitigen Vertrag in wenigen Sätzen zusammen­zufassen und, je nach Art der eingegebenen Frage, Risiken oder Klauseln hervorzuheben, die für den Käufer von Bedeutung sein konnten.

KI könnte auch bei der Überprüfung von Dokumenten helfen, insbesondere um zu prüfen, welche Bestimmungen gesetzlich vorgeschrieben sind, dem Marktstandard entsprechen oder vom Käufer bevorzugt verwendet werden. Dadurch lassen sich Informationen für die Unternehmensbewertung oder für eine spätere Integration gewinnen. Außerdem können KI Tools große Datenmengen durcharbeiten, um Klauseln in Verträgen zu finden, die für den Käufer von wirtschaftlicher Bedeutung sind, z.B. Change-of-Control-Klauseln. Aktuelle Daten zeigen, dass der Due-Diligence-Prozess insgesamt um 50% bis 70% beschleunigt werden kann, wenn diese Art von Tools zur Überprüfung von Dokumenten und Informationen eingesetzt wird.

  • Bewertung der Qualität des VDR

KI dürfte innerhalb von Sekunden beurteilen können, wie viele Dokumente zu welchen Themen bereitgestellt wurden, inwieweit diese der Anforderungsliste entsprechen, welchen Ländern (oder welcher Rechtsordnung) und welcher Sprache sie zuzuordnen sind, und schließlich vergleichen, ob die Angaben in den Disclosure Schedules oder Exhibits zum M&A-Kaufvertrag mit den Offenlegungen im VDR übereinstimmen.

  • Wirtschaftliche Analyse

KI-Tools könnten auch zur Analyse der wirtschaftlichen Eckdaten des Deals verwendet werden. Das gilt etwa für die Plausibilisierung von Jahresabschlüssen, Management Accounts und Steuererklärungen im Rahmen der Financial- und Tax Due Diligence.

  • Rechtliche Analyse

Schließlich könnten sogar die wirtschaftlichen Auswirkungen der zu verhandelnden Bedingungen ermittelt werden. Zu einem anonymisierten Aktienkaufvertrag mit umfangreichen Earn-out-Klauseln konnte ChatGPT u.a. Folgendes liefern:

    • die Auswirkung von Earn-out-Szenarien und indikative Beträge für zukünftige Earn-out-Zahlungen;
    • eine mögliche Einschätzung der zukünf­tigen finanziellen Leistungsfähigkeit des Zielunternehmens;
    • eine Auflistung der Risiken, die mit Earn-­outs sowohl für den M&A-Käufer als auch für den M&A-Verkäufer verbunden sind; und
    • Empfehlungen zur Berechnungsmetho­dik.

Risiken des Einsatzes von KI im M&A-Umfeld

KI arbeitet mit Daten und lernt daraus. Die Ergebnisse, die KI letztendlich liefert, sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird. Je mehr hochwertige M&A-bezogene Daten der KI zur Verfügung gestellt werden, desto brauchbarer werden die Ergebnisse sein. Wenn beispielsweise deutsche M&A-Berater der KI deutschsprachige M&A-Inputs (VDR-Unterlagen, Kaufverträge etc.) zur Verfügung stellen, kann die KI genau diese M&A-Berater umso besser unterstützen. Quantensprünge in der Erkenntnis sind vorstellbar, wenn M&A-Berater ihre umfangreichen Datensätze aus früheren Transaktionen nutzen, um Zielunternehmen aus ähnlichen Branchen oder mit ähnlichem Risiko­profil zu vergleichen.

Regulatorische Anforderungen müssen geklärt werden

In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst eine Vielzahl rechtlicher Fragen, z.B. in Bezug auf die Einhaltung von Vorgaben aus Vertraulichkeitsvereinbarungen, Geheimnis- und Datenschutz, Kartellrecht und, ­soweit Insiderinformationen betroffen sind, Kapitalmarktrecht. Wenn ChatGPT und andere generative KI-Lösungen bei M&A-Beratern Fuß fassen wollen, müssen solche Bedenken zuvor ausgeräumt werden.

Die Zulässigkeit der KI-gestützten Auswertung von Daten wird daher schon bald ein wichtiger Regelungsgegenstand von Process Letters für M&A-Auktionsverfahren sowie von Vertraulichkeits- und Clean-Team-­Vereinbarungen werden. Das gilt in besonderem Maße für die Zulässigkeit der Weitergabe solcher Ergebnisse an den M&A-Käufer, den M&A-Versicherungsmakler, den M&A-­Ver­sicherer und dessen Berater.

Wie das M&A-Underwriting ­reagieren könnte

Das zunehmende Vertrauen von M&A-Käufern in die KI ihrer M&A- und Rechtsberater wird sich auch darauf auswirken, wie M&A-Underwriter versuchen, Vertrauen in die Qualität der Due Diligence zu gewinnen. Je umfangreicher KI eingesetzt wird, umso mehr wird sich der Schwerpunkt der M&A-Versicherung verlagern: vom Schutz gegen unvermeidliche Defizite bei der Due Diligence hin zu einem Schutz gegen Defizite des Einsatzes von KI.

Die Qualität des Einsatzes von KI wird u.a. abhängen von der Art und Datenbasis der KI-Tools oder der Art der eingegebenen Fragen. Daneben wird es darauf ankommen, ob und wie durch KI ermittelte Ergebnisse durch den M&A-Käufer und seine Berater hinterfragt und weiterbearbeitet werden, z.B. durch eine sachgerechte Auswahl und Veränderung der Fragen, durch „manuell“ durchgeführte Stichproben, Datenanforderungen, in den Q&A und in Expert Calls. In beide Richtungen könnte man den bereits üblichen und häufig durch die M&A-Versicherungsmakler vermittelten Austausch zu Marktstandards und Erwartungen erweitern. Jedenfalls dürften die Qualität und Erfahrung der Berater des M&A-Käufers und seines M&A-Versicherungsmaklers auch weiterhin eine entschei­dende Rolle für den Umfang der Versicherbarkeit von M&A-Risiken spielen.

Die Zulässigkeit der KI-gestützten Auswertung von Daten wird schon bald ein wichtiger Regelungsgegenstand von Process Letters für M&A-Auktionsverfahren und von Vertraulichkeits- und Clean-Team-Vereinbarungen werden.

M&A-Underwriter können natürlich auch selbst KI-Tools nutzen. Hier stellt sich ebenfalls die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Verwendung von Daten aus vergleichbaren M&A-Underwritings und Schadensmeldungen technisch möglich und zulässig ist.

Post-M&A-Streitigkeiten

Noch grundlegender als für die Due-Diligence-Phase einer M&A-Transaktion könnten die Auswirkungen generativer KI-Tools für Post-M&A-Streitigkeiten und Ansprüche aus der M&A-Versicherung sein. Die meisten M&A-Streitfälle werden im Rahmen vertraulicher Schiedsverfahren behandelt und selbst spezialisierte Kanzleien haben nur Zugang zu Informationen über die Streitfälle, zu denen sie selbst beraten haben. Eine solche Anzahl von Streitfällen kann nicht mit der Fülle von Daten über Schadensfälle konkurrieren, über die die M&A-Versicherer verfügen.

Fazit

Wenn M&A-Versicherer und ihre Schadenteams Lösungen für Hürden wie Vertraulichkeit und Datenschutz finden, um ihren reichen Datenbestand anonymisiert in KI-Lösungen einzuspeisen, sind die Möglichkeiten grenzenlos. Das könnte ihre Rolle als entscheidender Akteur im M&A-Prozess so weit festigen, dass man auf sie auch bei kleineren Transaktionen nicht mehr verzichten will.

Autor/Autorin

Eva-Maria Barbosa

Eva-Maria Barbosa ist Chair der globalen Corporate & Advisory Group von Clyde & Co. Sie ist zudem Partnerin im Münchner Clyde-Büro. Das Team berät Mandanten aus der Versicherungsbranche bei einer Vielzahl von M&A-Versicherungen, der Bearbeitung von Schadensfällen sowie bei Gerichts- und schiedsrichterlichen Verfahren und Fragen des Versicherungsaufsichtsrechts- und Rückversicherungsrechts.

Dr. Andreas Börner

Dr. Andreas Börner ist als Partner im Münchner Büro von Clyde & Co tätig und einer der führenden Anwälte für Gesellschafts- und Aufsichtsrecht. Er konzentriert sich auf gesellschaftsrechtliche, kapitalmarktrechtliche und regulatorische Fragen mit Schwerpunkt auf der Versicherungsbranche.

Dr. Sven Förster

Dr. Sven Förster ist Partner im Münchner Büro von Clyde & Co. und berät zu M&A-Versicherungen, Schadensbearbeitung, Gerichtsverfahren sowie zu Fragen des Versicherungsaufsichts- und Rückversicherungsrechts.

Adriaan Louw

Adriaan Louw ist Senior Associate im Münchner Büro von Clyde & Co. Er ist spezialisiert auf die Bereiche Gesellschaftsrecht (mit Schwerpunkt auf dem Versicherungssektor), Mergers & Acquisitions und Venture Capital (insbesondere Insurtech). Regelmäßig berät er auch Versicherungsunternehmen im Rahmen von Gewährleistungsversicherungen (W&I Insurance).