Hat das Wiener Biotech-Unternehmen Marinomed gute Chancen auf ein Revival? In der Corona-Pandemie konnte es sich neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen, doch der aktuelle Kurs des Unternehmens liegt bei 36,5 EUR (2. Mai 2023) und damit deutlich unter dem IPO-Preis von 75 EUR. Plattform Life Sciences befragte CEO Dr. Andreas Grassauer zu aktuellen Kursentwicklungen, den Erwartungen der Investoren sowie den Zielen des Unternehmens in den kommenden Jahren.
Plattform Life Sciences: Herr Grassauer, seit ihrer Gründung im Jahr 2006 hat Marinomed zwei leistungsstarke Technologien mit großem Potenzial zur Behandlung von Virus- und Immunerkrankungen entwickelt. Was können Investoren hieraus in den kommenden 3 Jahren erwarten?
Dr. Andreas Grassauer: Ein nachhaltig und dynamisch wachsendes Lifes-Science Unternehmen. Beide Segmente adressieren Milliardenmärkte. Im Bereich Virologie erwarten wir eine weitere Stärkung unseres erfolgreichen Carragelose-Business inklusive der Erschließung von neuen Ländern. Im Bereich Immunologie unterstützen wir unseren Partner Luoxin bei der Entwicklung von Budesolv für den chinesischen Markt, woran weitere Meilensteine geknüpft sind. In den nächsten ein bis eineinhalb Jahren streben wir den Abschluss von Lizenzdeals für unsere Produktkandidaten Tacrosolv und Budesolv an. Längerfristig bleiben wir unserer Mission treu, auf Basis unserer Technologieplattformen Therapien zu entwickeln, die die Lebensqualität der Patienten verbessern. Kurzfristig legen wir unseren Schwerpunkt aktuell auf die Erzielung von Umsätzen, um operative Profitabilität zu erreichen und die weitere Entwicklung des Unternehmens zu finanzieren.
Die Marinomed Biotech AG ist seit 2019 an der Wiener Börse im prime market-Segment gelistet. Der Kurs startete bei 75 EUR und ist begleitet durch COVID-Meldungen bis auf 142 EUR im Jahr 2021 angestiegen. Mit kurzen Zwischenkorrekturen ist der Kurs aber nun bei etwa 35 EUR angekommen? Welche Erwartungen der Investoren wurden nicht erfüllt oder war der Anstieg zuvor eher der allgemeinen Corona-Bewältigungs-Hoffnung geschuldet?
Durch die Wirksamkeit von Carragelose gegen SARS-CoV-2 konnte der Aktienkurs massiv profitieren. Die Korrektur, die wir seither gesehen haben, hat neben dem Abflauen der Pandemie aber noch weitere Gründe: Durch die geopolitischen Zustände und der damit gestiegenen Inflation nahm die Bereitschaft für risikoreiche Investments stark ab. Davon sind vor allem Small-Cap Life-Science Unternehmen wie Marinomed betroffen. Dem treten wir mit intensiverer Kommunikation entgegen, sowohl auf Roadshows mit Investoren als auch über Präsenz in (Fach-)Medien. Selbstkritisch gesehen, konnten wir die Erwartungen im Abschluss von Partnerschaften für Budesolv und Tacrosolv noch nicht ausreichend erfüllen. Dem Erfolg in der klinischen Entwicklung bei beiden Projekten soll jedenfalls die Kommerzialisierung folgen. Die Aktionäre können sich darauf verlassen, dass das unsere höchste Priorität ist. Insgesamt sind wir der Meinung, dass der Kurs nicht die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens widerspiegelt.
Wie sehen Sie das Geschäftsjahr 2022 in Anbetracht der eigenen Erwartungen? Welche Ziele haben Sie für das laufende Geschäftsjahr in Umsatz, Ertrag und Milestones? Sind Sie mit den Ergebnissen zufrieden?
Die Umsatzentwicklung unserer Carragelose-Produkte ist sehr erfreulich. Vier Jahre in Folge ein zweistelliges Wachstum zeugt von der Qualität unserer Forschung und Entwicklung und damit des Produkts. Dass Meilensteine keine regelmäßigen Umsätze darstellen, ist bekannt. Dennoch ist es natürlich schade, dass wir durch die heftigen Lockdowns in Shanghai mit unserem Partner Luoxin nicht die notwendigen Fortschritte erzielen konnten, um den erwarteten Meilenstein zu erzielen. Aber mit der gemeinsamen Entwicklung sind wir in Anbetracht der Umstände dennoch sehr zufrieden. Im laufenden Geschäftsjahr liegt der Fokus auf dem Business Development. Wir haben zwei innovative Produkte, Budesolv und Tacrosolv, die beide so weit entwickelt sind, dass sie für Partner attraktiv sein sollten. Wir wollen mindestens einen Deal abschließen und somit auch den Umsatz deutlich steigern.
Im letzten Jahr hat Marinomed eine Reihe guter Abschlüsse vermelden können. Besonders sticht die Lizenzvereinbarung mit dem weltbekannten Markenartikler Procter & Gamble in Sachen US-Vertrieb von Carragelose hervor. Was hat sich seit Verkündung im Mai 2022 in diesem Segment getan?
Der Deal mit Procter & Gamble ist sicher einer der bedeutendsten der Unternehmensgeschichte. Dass der klare Marktführer im Erkältungsmarkt unser Produkt für den weltweit größten Markt ausgewählt hat, ist eine besondere Auszeichnung. Die Zulassung in den USA durch die FDA ist mit großem Aufwand bei uns und unserem Partner verbunden. Der Prozess nimmt Zeit in Anspruch, aber wir hoffen, schon bald über Fortschritte berichten zu können.
Die patentierte Marinosolv-Technologie eignet sich hervorragend, um die Wasserlöslichkeit von Wirkstoffen zu erhöhen und kann damit die Wirksamkeit verbessern und die Dosis reduzieren. Wie viele Partnerschaften oder Auslizenzierungen konnten Sie bisher mit dieser Technologie eingehen und welchen Ertragsanteil erhofft sich Marinomed mit dieser Technologie in Zukunft?
Bezogen auf unsere Technologiepartnerschaften Solv4U konnten wir bereits einige Machbarkeitsstudien erfolgreich abschließen. Mit drei Partnern sind wir in die nächste Phase der Formulierungsentwicklung eingetreten. Insgesamt konnten wir bereits Wirkstoffe aus mehr als zehn Substanzklassen in Lösung bringen. Solv4U hat für Marinomed eigentlich nur Vorteile: 1. Ist das Geschäft risikolos, d.h. wir arbeiten zunächst kostendeckend als Auftragsforschung; 2. Sammeln wir mit vielen Substanzklassen Erfahrungen, die wir für interne und externe Projekte nutzen können, sowie ggf. auch das Potenzial haben, weiteres IP zu schaffen und 3. Gibt es ein langfristiges Upside über eine klassische Technologielizenz mit Meilensteinen und Royalties. Im Geschäftsjahr 2022 konnte Solv4U schon einen kleinen Teil zum Umsatz beitragen und wir sind zuversichtlich, diesen Anteil graduell zu steigern.
Anfang April haben Sie klinische Daten zur Wirksamkeit des Carragelose Nasensprays bei der Behandlung der „Volkskrankheit“ Heuschnupfen veröffentlicht. Was bedeuten diese Daten für das Carragelose-Produktportfolio?
Mit der Ausweitung der blockierenden Wirkung von Carragelose auf Allergene wie Pollen ergeben sich zwei Aspekte: Erstens können wir die Vermarktung des Produkts von der Erkältungssaison auf das ganze Jahr ausdehnen. Und zweitens können wir so auf den riesigen Allergiemarkt abzielen. Rund 400 Mio. Menschen sind von Allergien betroffen. Damit lassen sich die Umsätze mit den Carragelose-Produkten auf ein neues Niveau heben.
In Ihrer Pipeline befinden sich einige immunologische Präparate auf dem Weg von der klinischen Vorstudie bis in die Studien-Phase 3 im Fall von Budesolv. Auch die Aussichten für das Augenmittel Tacrosolv sowie dem Magen-Autoimmun-Präparat MAM-1004-2 klingen vielversprechend. Wann rechnen Sie mit einem erfolgreichen Abschluss der Vorarbeiten und dem Beginn der Vermarktung dieser?
Für Budesolv gibt es ja bereits eine Partnerschaft mit Luoxin für den chinesischen Markt. Hier laufen die Arbeiten für die weitere Entwicklung nach einer Lockdown-bedingten Zwangspause wieder auf Hochtouren. Sowohl für Budesolv als auch für Tacrosolv arbeiten wir gerade intensiv an der Partnersuche und streben einen Abschluss von Lizenzdeals in den nächsten 9-18 Monaten an. Beide Leitprodukte haben bisher in klinischen Studien hervorragende Ergebnisse erzielt. Exakte Angaben zum Vermarktungsstart können erst nach erfolgter Zulassung erfolgen, die aber noch Zeit in Anspruch nehmen wird. Auf lange Sicht wollen wir unsere Technologien aber auch für weitere Therapien in Indikationen mit ungedecktem medizinischem Bedarf, wie der Autoimmungastritis, nutzen.
Kommen wir nun zur Cash-Position und der Reichweite bis zur nächsten Finanzierung. Mit einem gezeigten Umsatz von etwa 11 Mio. EUR in 2021/2022 konnten Sie durch weitere Finanzierungsschritte i.H.v. 7,4 Mio. EUR im Jahr 2022 Ihre Cash-Position bei etwa 8 Mio. EUR stabilisieren. Wie muss man sich das in diesem laufenden Jahr 2023 vorstellen, wenn eine verwässernde Kapitalerhöhung auf diesem Kursniveau vermieden werden soll? Erwarten Sie für 2023 größere Umsatz-Dynamiken vielleicht aus den USA oder China?
Die aktuelle Cash-Position ist ausreichend für die laufenden Projekte und stützt die Entwicklung des Unternehmens. Unser klares Ziel ist es, weiterhin Umsätze zu generieren, die die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung finanzieren. Ein wichtiger Baustein sind die Umsätze aus dem Carragelose-Portfolio. Die Auftragslage für das erste Halbjahr ist gut und wir sind optimistisch, dass wir das dynamische Wachstum mit der Rückkehr von „normalen“ Erkältungssaisonen halten können. Unsere Partnerschaft mit Luoxin für Budesolv schreitet positiv voran. Hier ist eventuell noch in diesem Jahr mit einer weiteren Meilensteinzahlung zu rechnen. Außerdem arbeiten wir intensiv an weiteren Partnerschaften für Budesolv und Tacrosolv, aus denen sich zukünftig weitere Upfront- und Meilensteinzahlungen ergeben sollen.
Wenn Sie die langfristige Brille aufsetzen und dabei auch Ihre Visionen verwirklicht sehen: Wo steht Marinomed in 5 Jahren (2028)?
Operativ sehen wir uns in fünf Jahren jedenfalls in der Gewinnzone und haben unsere Produkte Budesolv und Tacrosolv erfolgreich vermarktet. Die Lücken in der Carragelose-Landkarte werden immer weniger und wichtige Märkte wie die USA und Japan haben unsere Produkte in den Apotheken. Unserer Vision folgend fokussieren wir uns auf Indikationen mit hohem medizinischem Bedarf und wollen somit nachhaltige Werte für Patienten, Gesundheitssysteme und unsere Stakeholder schaffen. Das Potenzial unserer beiden Technologieplattformen ist jedenfalls noch nicht ausgeschöpft und die Ideen für neue Produkte gehen uns sicher nicht aus.
Laut Aktionärsübersicht sind rund 62% dem Freefloat zuzuordnen. Die Aktie erscheint dennoch nicht sehr liquide gehandelt. Wie erklären Sie sich das und was müsste getan werden, um die Awareness zu steigern?
Wir freuen uns, dass wir sehr viele treue Investoren mit einer Langzeitperspektive haben. Das und die relativ geringe Marktkapitalisierung führen zu geringer Liquidität der Aktie. Wir suchen im Rahmen von Roadshows und anderen Veranstaltungen intensiv den Dialog mit bestehenden Aktionären und potenziellen Investoren, um die Equity Story mit ihrem Wachstumspotenzial zu vermitteln. Seit internationale Investorenkonferenzen und besonders der persönliche Kontakt mit Investoren wieder möglich sind, verspüren wir steigendes Interesse an Marinomed. Diesen Rückenwind wollen wir nutzen, um unser Unternehmen und Potenzial bekannter zu machen und noch besser zu vermarkten.
Herr Dr. Grassauer, vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen zur Marinomed-Aktie finden Sie in unserem Aktienportrait, das unter folgendem Link abrufbar ist: https://www.goingpublic.de/being-public/marinomed-biotech-ag-wiener-biopharmazie-mit-grosser-pipeline/
Autor/Autorin
André Will-Laudien
André Will-Laudien ist Mitglied der GoingPublic-Redaktion. Seit 1995 ist er in verschiedenen Stationen bei Banken als Vermögensverwalter, Kapitalmarkt- und Makroexperte sowie als fundamentaler Aktien-Analyst tätig. Seine Passion gilt den Energie-, Rohstoff- und Technologiemärkten sowie der taktischen und strategischen Asset Allokation von liquiden Anlageprodukten.