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Aus Sicht von Venture-Capital-(VC-)Investoren sind KI-Anwendungen, die die Entwicklung von Medikamenten auf ein neues Level heben, hochinteressant. Sie versprechen enorme Zeit- und Kostenersparnisse. Doch wie weit sind Start-ups, die an leistungsfähigen KI-Plattformen arbeiten? Und bei welchen konkreten Fragenstellungen können sie wertsteigernd eingesetzt werden?

Der traditionelle Prozess der Medikamentenentwicklung ist zeitaufwendig, risikobehaftet und ausgesprochen teuer. Er dauert durchschnittlich zehn bis 15 Jahre und kostet von der Entdeckung bis zur Markteinführung eines Medikaments meist über 2 Mrd. USD. Die hohen Kosten für F&E, zusammen mit frustrierenden Ausfallraten bei Arzneimittelkandidaten, stellen eine erhebliche finan­zielle Belastung für die Biotechnologie-und Pharmabranche dar. Werden diese Kosten an die Verbraucher weitergegeben, strapazieren sie Gesundheitssystem und Gesellschaft erheblich. Das Zusammenwachsen von KI und Biologie verspricht Abhilfe. KI wird als der künftige Gamechanger in der Medikamentenentwicklung gehandelt.

KI-Gründungen in der Medikamentenentwicklung: Die größten Empfänger von Investorengeldern. Quelle: Copyright 2024 PitchBook Data, Inc. All rights reserved.
KI-Gründungen in der Medikamentenentwicklung: Die größten Empfänger von Investorengeldern. Quelle: Copyright 2024 PitchBook Data, Inc. All rights reserved.

Die Voraussetzungen hierfür sind gegeben: Mit KI können Forscher beispielsweise neue biologische Targetmoleküle entdecken und mit Multiomics biologische Daten blitzschnell analysieren. Sie können zielgerichteter und schneller vorhersagen, wie Medikamente mit Targets interagieren und potenzielle Nebenwirkungen identifizieren. All dies verkürzt, verbessert und vergünstigt die Entwicklungszeit von neuen Medikamenten erheblich.

Doch wo stehen Start-ups bei der Nutzung von KI?

Derzeit gibt es noch kein Medikament, bei dessen steinigem Entwicklungsprozess bis zur Marktzulassung KI eine Schlüsselrolle gespielt hätte. Dennoch bewegen sich seit vielen Jahren zahlreiche Start-ups im Markt, um genau dieses Ziel zu erreichen. PitchBook zählt 186 nennenswerte Unternehmen, die mit KI-Anwendungen in der Medikamentenentwicklung tätig sind. Knapp 1.200 Investoren haben bislang über 16 Mrd. EUR in diese Firmen investiert. In der Branche kam es seit 2018 zu 854 Deals. In den letzten zwölf Monaten ist zwar die Anzahl an Deals um 13% auf 64 gesunken, das investierte Kapital aber um 24% auf knapp 2,5 Mrd. EUR gestiegen. Die Gründungen von KI-zentrierten Start-ups

Für die Medikamentenentwicklung hatte zwar bis Mitte der 2010er-Jahre an Dynamik gewonnen, die Zahl an Neugründungen aber laut PitchBook zuletzt wieder abgenommen. Die höchsten Investorengelder flossen Recursion Pharmaceuticals (1,16 Mrd. EUR), Exscientia (740 Mio. EUR), Schrodinger (583 Mio. EUR) und Gritstone bio (489 Mio. EUR) zu.

Diese Zahlen veranschaulichen, welche Dimension der hier beschriebene Sektor bislang erreicht hat. Bei einer Durchsicht der wichtigsten Finanzierungsrunden und Deals wird auch deutlich, dass die allermeisten Start-ups dieses Sektors in den USA beheimatet sind, ergänzt durch ein kleineres Cluster in London/UK. Welche Schlussfolgerung lässt sich daraus ziehen?

Abb. 2: Die wichtigsten KI-Deals im Bereich Medikamentenentwicklung im Zeitverlauf. Quelle: Copyright 2024 PitchBook Data, Inc. All rights reserved.
Abb. 2: Die wichtigsten KI-Deals im Bereich Medikamentenentwicklung im Zeitverlauf. Quelle: Copyright 2024 PitchBook Data, Inc. All rights reserved.

Wo KI-Plattformen spezifisch eingesetzt werden können

Die Medikamentenentwicklung muss bei dem Thema des Software- und KI-Einsatzes zunächst eine Schlüsselfrage beantworten: In welchen Segmenten kann die KI zur Zeit und Kosteneffizienz beitragen? Wir sehen hierbei folgende Anwendungen. Beschleunigte Targetidentifikation und -validierung: Dieses sehr frühe und kritische Stadium der Medikamentenentwicklung erfordert bislang mühsame Laborarbeit und umfangreiches Ausprobieren. KI-Plattformen, insbesondere solche, die auf bestimmte Krankheiten ausgerichtet sind, können diesen Prozess durch die Analyse großer Datenmengen straffen und potenzielle Targets herausfiltern. Diese Plattformen können vorhersagen, welche Proteine oder Gene am wahrscheinlichsten mit einer Krankheit in Verbindung stehen. Forscher konzentrieren dann ihre Bemühungen auf die vielversprechendsten Kandidaten.

  • Verbessertes Screening und Lead-Optimierung: Sobald potenzielle Ziele identifiziert sind, besteht der nächste Schritt darin, Tausende von Verbindungen zu screenen, um jene zu finden, die auf wünschenswerte Weise mit dem Ziel interagieren. Krankheitsspezifische KI­ Plattformen können diese Interaktionen per Computer simulieren, wodurch die Notwendigkeit physischer Tests drastisch reduziert wird. Diese Plattformen können auch Verbindungen optimieren, indem sie vorhersagen, wie Änderungen an chemischen Strukturen deren Wirksamkeit und Sicherheit beeinflussen werden.
  • Personalisierte Medizin und Patientenstratifizierung: KI-­Plattformen, die auf bestimmte Krankheiten spezialisiert sind, spielen auch eine entscheidende Rolle bei personalisierter Medizin. Durch die Analyse von Patientendaten können diese Plattformen Untergruppen von Patienten identifizieren, die wahrscheinlich auf eine bestimmte Behandlung ansprechen. Dies ermöglicht die Entwicklung von Medikamenten, die auf spezifische Patientenpopu­lationen zugeschnitten sind, wodurch deren Wirksamkeit erhöht und die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen verringert wird. Darüber hinaus reduziert personalisierte Medizin die Kosten klinischer Studien, indem sichergestellt wird, dass die richtigen Patienten ausgewählt werden.
  • Reduzierung der Kosten und Dauer klinischer Studien: Klinische Studien sind der Kostentreiber der Medikamentenentwicklung. Krankheitsspezifische KI-Plattformen senken diese Kosten erheblich, indem sie die Rekrutierung und Stratifizierung von Patienten ver­bessern, Ergebnisse vorhersagen und Patientenreaktionen in Echtzeit überwachen. Indem sie die am besten geeigneten Kandidaten für Studien erkennen, erhöhen sie deren Effizienz und verkür­zen deren Dauer. Sie reduzieren auch die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns.
  • Integration von Echtzeitdaten und Überwachung nach der Markteinführung: Nach Zulassung und Markteinführung eines Medikaments ist die Überwachung seiner Leistung in der realen Welt entscheidend. Krankheitsspezifische KI­ Plattformen können Echtzeitdaten integrieren, wie elektronische Gesundheitsakten und von Patienten berichtete Ergebnisse. Diese kontinuierliche Überwachung hilft, langfristige Probleme und Vorteile zu erkennen, die während der klinischen Studien möglicherweise nicht offensichtlich waren. Darüber hinaus können KI-Plattformen durch die Analyse dieser Daten zur Entwicklung neuer Behandlungen und Verbesserungen bestehender Medikamente beitragen.

Glänzende Zukunft absehbar

Krankheitsspezifische KI-­Plattformen sind also auf dem Weg, den Prozess der Medikamentenentwicklung zu revolutionieren. Wir gehen von einer explosionsartigen Verbesserung und Anwendung für die Medikamentenentwicklung aus. Drei wesentliche Faktoren, die jeder für sich die notwendige Reife mit sich bringt, tragen dazu bei: Immer besser werdende generative KI und Large Language Models treffen auf umfangreiche Datensets auf Basis der Omics-Technologie – und diese werden durch steigende Rechenleistung für die Datenanalyse interpretiert.

Autor/Autorin

Andreas Kastenbauer. Copyright: MIG Capital
Andreas Kastenbauer
Partner at MIG Capital | Website

Andreas Kastenbauer ist Partner der MIG Capital. Der Betriebswirt betreut Portfoliounternehmen im Life-Sciences-Bereich.

Dr. Fei Tian. Copyright: MIG Capital
Dr. Fei Tian
Principal at MIG Capital | Website

Dr. Fei Tian ist promovierte Medizinerin und betreut bei MIG Capital als Principal Beteiligungen im Life-Sciences-Bereich.