Bildnachweis: BB Biotech.
Künstliche Intelligenz (KI) ist seit einiger Zeit ein Megathema und Kern vielzähliger förderpolitischer Aktivitäten wie auch strategischer Initiativen von Groß(tech)konzernen bis zum globalen Start-up-Ökosystem. Wie verhält sich ein Langzeitinvestor wie die Schweizer BB Biotech bei einem solchen neuen Trend? Die Plattform Life Sciences sprach mit dem Experten Dr. Samuel Croset.
Plattform Life Sciences: Wodurch kommt gerade jetzt das Thema künstliche Intelligenz so gewaltig nach vorne?
Dr. Croset: Das Thema ist eigentlich nicht wirklich neu, aber die Entwicklung hat im vergangenen Jahrzehnt deutlich Fahrt aufgenommen. Dabei spielte sowohl die Dynamik der Veränderungen im ganzen Feld der Informatik (Hardware, Algorithmen etc.) als auch Innovation im KI-/Machine-Learning-Gebiet – vor allem durch sogenanntes Deep Learning – eine Rolle. Erste bahnbrechende Erfolge wurden z.B. in der Bild-, Sprach- (Siri) und Textanalyse (Google Translate) und bei Spielen (AlphaGo) erzielt.
Haben Sie im Gesundheitssektor dann auch einen breiten Blick auf entsprechende Innovationen?
Uns interessieren natürlich vor allem Ansätze, die sich intensiv mit Wirkstofffindung und -entwicklung befassen. Wir berücksichtigen aber auch die Konsequenzen von KI in allen anderen Gesundheitssektoren, welche sich auf die Biopharmaindustrie auswirken können.
Was meinen Sie damit genau?
Uns interessiert, wie KI-Methoden genutzt werden können, um schneller und günstiger geeignetere Entwicklungskandidaten zu identifizieren. Dabei glauben wir, dass hierbei analytisch zum einen eine ausgeklügelte Balance zwischen In-silico- und In-vitro-Experimenten genutzt werden muss und zum anderen Mensch und Maschine kollaborieren müssen. Für den Moment stufen wir die Unterstützung des Wissenschaftlers durch gezielte Anwendung von KI für besonders schwierige Fragestellungen gegenüber einer vollintegrierten maschinellen Plattform ohne Beteiligung des Menschen als erfolgversprechender ein. Diese gezielten Anwendungen spannen sich über den gesamten Entwicklungsprozess von Medikamenten: von der präklinischen Toxikologie, der Pharmakologie, der Konzeption von klinischen Studien bis hin zum Zulassungsprozess oder sogar der Vermarktung. Die Hürden zum erfolgreichen Einsatz einer vollintegrierten maschinellen Plattform sehen wir vor allem in der Standardisierung, der Normierung, dem Zugang und der Vernetzung von Daten vielfältiger Art im Kontext der Medizin.
Ist bei so einem Buzzword jedoch nicht auch die Gefahr groß, dass nun alle wie die Lemminge darauf losstürzen, aber leider niemand die richtige Richtung kennt?
Die Gefahr ist groß; die Ernüchterung beim Ausbleiben von frühen Erfolgen wird ebenfalls groß sein. Große wie kleine Unternehmen streben alle einen Eintritt in das KI-Feld an. Einige sind bereits weiter fortgeschritten als andere. Für die Großen ist das Problem oft, dass sie nur relativ geringe Ressourcen bereitstellen und die Firmenkultur KI nicht als Kernkompetenz hochhält. In der Folge spielen KI-Wissenschaftler in diesen größeren Unternehmen nach wie vor keine dominante Rolle. Die besten Talente in diesen Hybridfeldern aus Technologie und Gesundheitswissenschaften orientieren sich daher bei der Wahl des Arbeitsplatzes eher an Innovationsführern, welche die Firmen von Grund auf mit dem Fokus auf KI konzipieren.
Wie es sich schon so oft bei der Weiterentwicklung von Technologien und Ansätzen innerhalb wie außerhalb der Biotechnologie bewahrheitet hat, werden sich auch die KI-Plattformen nicht bei allen Anwendungen durchsetzen. Man wird eine gewisse Vernunft und Ausdauer mitbringen müssen, um selektiv Opportunitäten zu erkennen.
Wenn wir einmal von KI abstrahieren: Was sind Ihre ersten Kriterien für ein neues Investment?
Am Ende interessiert uns vor allem Medizin, die Patientenbeschwerden lindert oder gar heilt. Das Feld verbalisiert dies als „unmet medical need“. Der Weg oder die Methode zur Entwicklung eines potenziellen Kandidaten, um diesen Bedarf zu decken, ist uns im Prinzip egal. In der Praxis ermöglichen allerdings gewisse Innovationen in den Methoden oder Technologie überhaupt erst eine Behandlung. Daher kann man bahnbrechende Innovationen in Teilgebieten des Entwicklungsprozesses als frühe Indikatoren zukünftig erfolgreicher Behandlungsansätze betrachten. Es wird spannend sein, in welcher Breite und Tiefe KI hier einen wesentlichen Beitrag leisten kann.
Doch dann kommen die Techgiganten wie Google, Apple, IBM oder Amazon und man ist versucht, die weiße Fahne zu hissen, weil diese sowieso den Healthcaremarkt dominieren werden und die entsprechende Rechenleistung und Datenkompetenz mitbringen – oder?
Das glauben weder wir noch die Techgiganten selbst. Man sieht zunehmend Aussagen der Techriesen hinsichtlich ihrer Rolle als „Enabler“ statt als Entwickler. Beispielhaft dient hierfür die kürzliche komplette Publikation von Googles Alphafold-Protein-Strukturvorhersagen, begründet in der Hoffnung, dass die Biopharmaindustrie sich diese Datenbanken breit zunutze machen wird. Den Techriesen wird bei jedem Versuch, in das Feld einzudringen, immer wieder bewusst (gemacht), wie schwierig der Prozess der Medikamentenentwicklung ist, sowohl hinsichtlich regulatorischer Gegebenheiten als auch der schieren Komplexität des biologischen Hintergrunds. Bisher war es in adjunkten Gesundheitsbereichen wie Digital Health für Techfirmen aufgrund von stark vereinfachter oder gar nicht vorhandener Regulation und direkter Nähe zum Konsumenten deutlich einfacher, Fuß zu fassen.
Eine zukünftige Vereinfachung und damit bessere Vorhersagbarkeit hinsichtlich Regulation, aber auch Durchführung klinischer Entwicklung (die durch KI selbst angestoßen wird) sowie eine Verschiebung im Zieldreieck Arzt-Versicherung-Patient könnte dies verändern.
Wie und wo findet BB Biotech solche Innovationen?
Unser Hauptfokus liegt speziell im KI-Feld, dabei auf den USA, zudem auf China und zuletzt doch auch auf Europa, wo wir besonders UK als führend in dem Feld ansehen.
Während andere Länder in diesem Bereich sehr dynamisch und massiv voranschreiten, liest man in Europa als Erstes von einer Sonderregulierung für KI, kürzlich verabschiedet. Kann man so im globalen Wettbewerb mithalten?
Wenn es um Ethik geht, führt Europa meistens die Diskussion und die Regulierung an. Regulation sollte man nicht immer nur negativ sehen, denn im Idealfall – wenn angemessen – kann diese die Qualität enorm erhöhen. Man muss KI-Algorithmen nicht als ultimative Wunderwaffe überhöhen; zudem wandert viel geistiges Gut aus dem Feld momentan in den Open-Source-Raum und eher die Supercomputer und die richtige Problembeschreibung sind maßgebend für den wirtschaftlichen Erfolg. Auch die Food and Drug Administration (FDA) zeigt einen großen Drang und Anstrengung, diesen Bereich unter Kontrolle zu behalten und wirklich als Türsteher zu fungieren.
Kommen wir zu konkreten Beispielen aus dem BB Biotech-Portfolio: Wo steckt da aktuell KI drin?
Ein Beispiel ist etwa Relay Therapeutics. Diese Firma hat Zugang zu einem der schnellsten spezialisierten Computer der Welt. Damit können Forscher bekannte Proteinstrukturen dynamisch simulieren, anstatt statisch zu betrachten, um kleinste Unterschiede zu identifizieren und für die Wirkstofffindung zu nutzen. Diese neue, unerreichte Auflösung und Betrachtungsdauer von Proteindynamik ist ein wichtiger Meilenstein. Da man Struktur-Dynamik-Wirkungs-Hypothesen im Labor durch Strukturauflösungen und biochemische Assays testen kann, ermöglicht dies eine relativ frühe Validierung dieser Hypothesen.
Black Diamond Therapeutics nutzt hingegen maschinelle Lernverfahren, um die Auswirkungen verschiedener Mutationen auf ein onkologisch relevantes Protein zu verstehen, zu kategorisieren und differenziell mit einem einzelnen Wirkstoff zu blockieren.
Zum Schluss: Benutzen Sie auch selbst KI für die eigene Investmentstrategie?
Das übergreifende Thema für unseren Investmentprozess bezeichnen wir als „Advanced Analytics“, da dies u.a. KI-Anwendungen umfasst. Mithilfe großer Datensätze wie EHRs (elektronische Gesundheitsakte) oder Krankenversicherungsdaten versuchen wir, Märkte aus medizinischer, aber auch wirtschaftlicher Sicht besser zu verstehen. Auf anderer Ebene entwickeln wir Tools, um neue Informationen und Nachrichten zu verfolgen und zu verarbeiten, um ein möglichst umfassendes Verständnis einer Domäne aufzubauen. Weiter analysieren wir auch große molekulare und genomische Datenbanken, um die biomedizinische Implikation für eine Investitionshypothese besser zu charakterisieren.
Wir danken für dieses Gespräch.
Das Interview führte Dr. Georg Kääb.
ZUM INTERVIEWPARTNER
Dr. Samuel Croset kam 2020 als Portfoliomanager und Digital Transformation Lead für BB Biotech zu Bellevue Asset Management. Zuvor arbeitete er von 2018 bis 2020 bei Roivant Sciences als Data Scientist, der Investitionsentscheidungen in Arzneimittelprojekte unterstützte und ein Team leitete, das sich auf die Analyse von Real-World-Daten konzentrierte. Seine berufliche Laufbahn begann Dr. Croset bei Roche als Data Scientist in der Forschungsabteilung (2014 bis 2018). Er hat einen Ph.D. in Bioinformatik von der Universität Cambridge, einen MS in Bioinformatik und einen MS in Biochemie von der Universität Genf.
Autor/Autorin
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