Bildnachweis: Rafael Ben-Ari – stock.adobe.com, Nyxoah SA, Nasdaq, 2024.
Nyxoah ist ein 2009 gegründetes, belgisches Medtechunternehmen, das sich auf die Behandlung von obstruktiver Schlafapnoe (OSA) durch Neurostimulation fokussiert. Seit 2020 ist es an der Euronext in Belgien und seit 2021 an der US-Technologiebörse Nasdaq gelistet. Ihr Hauptprodukt Genio ist CE-zertifiziert und in Europa bereits verfügbar, wobei der wichtigste Markt Deutschland ist. Hier wird das Produkt bereits in über 50 HNO-Kliniken eingesetzt und von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet. Das Unternehmen plant derzeit den Markteintritt in den USA. Dazu sprachen wir mit Nyxoahs CEO: Olivier Taelman.
Plattform Life Sciences: Herr Taelman, Nyxoahs Hauptprodukt ist „Genio“. Wie funktioniert diese Technologie?
Taelman: Lassen Sie mich zunächst auf die obstruktive Schlafapnoe (OSA) eingehen. Bei der OSA handelt es sich um eine gravierende Atmungsstörung. Die Zunge fällt bei betroffenen Patienten im Schlaf nach hinten und blockiert die oberen Atemwege. Dadurch kommt es zu Atmungsaussetzern, sogenannten Apnoen, die zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff führen. Das kann für Patienten teilweise schwerwiegende Folgen wie Depressionen, Diabetes oder sogar Herzinfarkte und Schlaganfälle haben.
Wie wird die obstruktive Schlafapnoe derzeit behandelt?
Derzeit werden Betroffene oft mithilfe der sogenannten CPAP-Therapie behandelt. CPAP steht für „continuous positive airway pressure“, oder auf Deutsch: kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck. Während des Schlafs wird dabei Luft durch die oberen Atemwege gepresst, um diese offenzuhalten und so die Atmungsaussetzer zu verhindern. Dafür verwendet man eine Maske, die durch einen Schlauch mit einem Gerät auf dem Nachttisch verbunden ist. Etwa die Hälfte der Patienten bricht diese Art der Therapie jedoch vorzeitig ab. Ein Grund dafür ist der fehlende Komfort der Masken beim Schlafen.
Und wie unterscheidet sich diese Behandlungsmethode von Ihrer?
Mit unserer Genio-Technologie haben wir eine innovative und patientenzentrierte Alternative entwickelt. Sie besteht aus zwei Komponenten: einem winzigen implantierbaren Neurostimulator und einer externen tragbaren Komponente, dem Aktivierungschip. Der Neurostimulator wird während eines minimalinvasiven Eingriffs unter dem Kinn eingesetzt. Jeden Abend, bevor der Patient zu Bett geht, fixiert er den Aktivierungschip mithilfe eines Pflasters unter dem Kinn. So aktiviert er den Neurostimulator, der kleine Vorwärtsbewegungen des Zungenrückens auslöst und so die Blockierung der oberen Atemwege verhindert. Tagsüber kann das Wearable abgelegt und aufgeladen werden. Mit einer speziellen App kann der Patient jederzeit bequem den Therapieverlauf kontrollieren. Und da das Implantat weder Kabel noch Batterien enthält, sind keine weiteren Eingriffe nötig, um Updates an Genio durchzuführen. Patienten können so von den neuesten Innovationen unseres Systems profitieren, ohne erneut chirurgisch behandelt werden zu müssen. Unser Gerät passt sich also an die natürlichen Schlafgewohnheiten an und gewährleistet Komfort und einen guten Schlaf.
Wir haben erst kürzlich, im Frühjahr 2024, die Ergebnisse aus unserer US-Zulassungsstudie „DREAM“ bekannt gegeben. In dieser Studie, in der 115 Patienten über einen Zeitraum von zwölf Monaten mit Genio behandelt wurden, konnten sämtliche primären und sekundären Endpunkte erreicht werden. Darüber hinaus belegen die Resultate eine deutliche Reduzierung des OSA-Schweregrads bei den teilnehmenden Patienten. Außerdem ist DREAM die erste Studie, die eine hohe Wirksamkeit unabhängig von der individuellen Schlafposition nachgewiesen hat. Im Vergleich zur CPAP-Therapie zeigt unsere Studie mit 85% eine sehr hohe Therapietreue. Ende September werden wir die DREAM-Ergebnisse auf einer renommierten wissenschaftlichen Konferenz in Florida auch noch einmal im Detail vorstellen. und mit der Fach-Community diskutieren.
Sie haben nun den US-Markt fest im Blick …
Ja, die USA sind mit rund 39 Millionen Patienten der weltweit größte Markt für OSA und daher für Nyxoah natürlich auch von hoher strategischer Bedeutung. Wir konnten bereits das vierte und letzte Modul unseres Zulassungsantrags bei der FDA abschließen und einreichen. Nach den regulären Prüfungsfristen der US-Gesundheitsbehörde erwarten wir die Zulassung Ende 2024. Wir sind also gut vorbereitet, um Genio Anfang 2025 in den US-Markt einzuführen und mit der Kommerzialisierung zu beginnen. Derzeit stellen wir dort ein schlagkräftiges Vertriebsteam unter der Leitung unseres neuen erfahrenen Chief Commercial Officers Scott Holstine zusammen.
Welche Marktanteile streben Sie in den nächsten fünf Jahren in den USA an?
Wenn Sie mich nach dem erwarteten Marktanteil fragen, so ist für uns Deutschland ein guter Indikator für den US-Markt. Die Erfahrungen, die wir hier gemacht haben, waren durchweg positiv. Genio wurde in Deutschland sowohl von Ärzten in den renommiertesten Kliniken als auch von den Patienten gut angenommen, was erheblich zum Marktwachstum im Bereich der Neurostimulation beigetragen hat. Neun von zehn der führenden deutschen HNO-Kliniken implantieren Genio bereits, in fünf Kliniken haben wir mit unserem Produkt schon nach 24 Monaten einen Marktanteil von mindestens 30% erreicht. Daran wollen wir anknüpfen und auch in den USA für die Markteinführung mit Topkliniken zusammenarbeiten, die in ihrem Fachbereich führend sind.
Mit Cochlear und ResMed haben Sie starke Partner an Ihrer Seite. Welche Rolle spielen sie derzeit und zukünftig für die Unternehmensentwicklung?
Wir haben mit beiden Unternehmen eine starke und langjährige Verbindung und sind stolz auf die Zusammenarbeit, die unsere Technologie validiert. Cochlear ist ein Paradebeispiel für Innovationskraft und Qualität, und es bestehen vielerlei Synergien zwischen unseren Unternehmen und Produkten. ResMed ist die Nummer eins im Bereich der CPAP-Technologie. Mit ihnen haben wir eine exklusive Partnerschaft in Deutschland. Unser Ziel ist es, den Zugang zur Therapie für die Patienten auszuweiten. Ich sagte es eingangs bereits: Bis zu 50% der CPAP-Patienten brechen die Behandlung ab. Wir wollen ihnen eine anwenderfreundliche Alternative anbieten, um das Risiko ernsthafter gesundheitlicher Komplikationen zu verringern und für jeden Patienten die richtige Therapie finden.
Wie lange ist Nyxoah nach der jüngsten Kapitalerhöhung und der Darlehensvereinbarung mit der EIB finanziert – und wofür werden die Mittel verwendet? Wann erwarten Sie den Break-even? Welche zukünftigen Formen der Finanzierung ziehen Sie in Betracht?
Wir haben in diesem Jahr insgesamt 86 Mio. EUR an frischem Kapital eingenommen: 48,5 Mio. EUR im Rahmen einer Kapitalerhöhung und 37,5 Mio. EUR durch eine Darlehensvereinbarung mit der Europäischen Investitionsbank. Damit ist die Kommerzialisierung von Genio in den USA vollständig finanziert. Mit unseren derzeitigen Mitteln sind wir bis Mitte 2026 finanziert. In Zukunft wollen wir unsere Vertriebsaktivitäten in Europa und den USA weiter ausbauen und die Kommerzialisierung von Genio beschleunigen. Dazu werden wir künftig zusätzliche Mittel aufbringen müssen. Unser Hauptaugenmerk liegt dabei aber stets auf dem Shareholder Value. Wir evaluieren kontinuierlich die besten Optionen. Wenn sich uns eine angemessene Gelegenheit zu Finanzmitteln bietet, werden wir diese ergreifen. Da der Break-even von einer Reihe verschiedener Faktoren abhängt, bitten wir um Verständnis, dass wir dazu öffentlich noch keine Prognose abgeben können.
Welche langfristige Vision verfolgen Sie für Nyxoah in den nächsten zehn Jahren und welche weiteren Indikationen oder Technologien könnten in Ihre Pipeline aufgenommen werden?
Unsere Vision ist es, ein weltweit führendes Unternehmen für die Behandlung der obstruktiven Schlafapnoe und verwandter Indikationen zu werden. Dabei steht für uns der größtmögliche Nutzen für unsere Patienten im Vordergrund. Wir arbeiten beispielsweise daran, unsere Technologie auf weitere Indikationen wie den sogenannten komplett konzentrischen Kollaps des Weichgaumens auszuweiten. Für die betroffenen Patienten sind alternative Neurostimulationstherapien kontraindiziert, was bedeutet, dass sie außer einer hochinvasiven Operation nicht viele Optionen haben. In Europa ist Genio das einzige Neurostimulationsgerät, das für diese Indikation zugelassen ist, und in den USA läuft derzeit eine einjährige Zulassungsstudie. Langfristig soll unsere Technologie noch benutzerfreundlicher werden. Wir wollen damit klarer Innovationsführer in der Behandlung von OSA durch Neurostimulation bleiben.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Urs Moesenfechtel.
Autor/Autorin
Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.