Zu Beginn des Jahres fand in Leipzig die erste Ausgabe des Projekts „Bioökonomie Werkstatt Sachsen“ statt. Die vom Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ) organisierte Veranstaltung soll dazu beitragen innovative Konzepte für eine nachhaltige Wirtschaftsweise in Sachsen umzusetzen. Plattform Life Sciences sprach mit der Projektleiterin Dr. Romy Brödner.

 

Frau Dr. Brödner, die Bioökonomie-Werkstatt will die Transformation Sachsens in den nächsten Jahren anstoßen. Warum erst jetzt?

Brödner: Nun, wir fangen hier nicht bei null an. Bioökonomie-Aktivitäten gibt es in Sachsen, ähnlich wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, schon seit längerer Zeit. Aber die Entwicklung eines branchenübergreifenden Bioökonomie-Ansatzes mit allen wichtigen Akteuren in Präsenz ist ein Novum. Die erste Veranstaltung Bioökonomie-Werkstatt Sachsen hat uns gezeigt: Der Bedarf und das Interesse an einer Vernetzung über die jeweiligen Betätigungsfelder hinweg sind enorm.

Dr. Romy Brödner. Copyright: DBFZ

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hat Sachsen keine Bioökonomie-Strategie. Soll die Bioökonomie Werkstatt Sachsen das nun wettmachen?

In Sachsen gibt es zwar nicht dieses „eine, gemeinsame Dokument“ aller Ministerien, aber die Bioökonomie wird in den verschiedensten Strategien Sachsens als wichtiges Entwicklungsfeld adressiert – so beispielsweise in dem Strukturentwicklungsprogramm „Mission Sachsen 2038“[1] oder in Sachsens Innovationsstrategie[2]. In den einzelnen Referaten der Ministerien ist Bioökonomie ohnehin Thema. Es muss also kein Hindernis für weitere Entwicklungen sein, dass es nicht „das eine Dokument“ gibt. Wir wollen mit unserer Werkstatt auch kein Strategiepapier entwickeln, sondern die bestehenden, vielen Strategien, konkretisieren. Das tun wir, indem wir sektorübergreifend und sehr praxisorientiert verschiedene Themenfelder wie zum Beispiel Holzwirtschaft, Verpackungsindustrie und Leichtbau zusammenführen.

Wie soll das konkret aussehen?

Die Akteur:innen der ersten Bioökonomie-Werkstatt Sachsen vereinen ihre Kompetenzen, Ressourcen, Produkte und Technologien im Bereich Bioökonomie auf einer gemeinsamen Karte. Copyright: DBFZ

Es geht uns im Kern um Stoffströme und Wertschöpfungsketten. Die wollen wir mit allen sächsischen Bioökonomieakteuren branchenübergreifend neu denken und ressourcenschonender, nachhaltiger, ökologischer – und damit auch wirtschaftlicher – entwickeln, gestalten oder bereits bestehende verlängern. Dabei nehmen wir alle Akteure, die an diesen Zusammenhängen beteiligt sind, in den Blick: die Erzeuger, die Verarbeiter, die Kunden. Und dabei schauen wir uns Recyclingkreisläufe, Energiefragen, rechtliche Rahmenbedingungen und Verwaltungsvorgänge an. Damit können diese Ströme und Ketten zukünftig besser aufeinander abgestimmt und optimiert werden. In Sachsen gibt es allein 99 Forschungseinrichtungen und -institute, die sich mit Bioökonomie-Themen befassen. Das immense Wissen, das in den Forschungseinrichtungen vorhanden ist, gilt es in die Praxis zu bringen. Dazu muss das Wissen in die Branchen einfließen, die in Sachsen stark vertreten sind, wie z.B. dem Maschinenbau. Es sind letztlich auch die traditionellen Branchen, die bioökonomische Prozesse überhaupt erst ermöglichen.

Geht es Ihnen bei diesem Transferansatz um Unternehmensgründungen oder darum, bestehende Industrien zu „bioökonomisieren“?

Im Vordergrund unserer Veranstaltungen geht es darum, Projektideen oder Kooperationen zwischen Unternehmen zu entwickeln. Wir möchten aber auch bestehende Ansätze erweitern und die Verwaltungen anregen, gewisse Regularien auf Bioökonomietauglichkeit zu überprüfen. Ebenso kann „Transfer“ auch bedeuten, dass Land- und Forstwirtschaft im Rahmen dieser Projektideen Anbauregime an Bioökonomiebedürfnisse anpassen.

Das klingt nach einem zeitintensiven Bottom-Up-Ansatz… 

Dr. Romy Brödner veranschaulicht die entwickelte „Bioökonmie-Karte Sachsen“. Zahlreiche Kompetenzen aus den Bereichen Energie, Verarbeitungstechnologien, Recycling, Biomasseerzeugung uvm. wurden im Workshop zusammengeführt. Copyright: DBFZ

Ja, der Aufbau von Synergieeffekten zwischen den Partnern, die sich bei uns zusammenfinden, ist ein langer Weg. Wir fokussieren auf die Land- und Forst-, Ernährung-, Textil-, Kreislauf- und Recyclingwirtschaft. Und bei denen besteht ein Henne-Ei-Problem: Es gibt mögliche zukünftige Nachfragen, die noch nicht bedient werden können und potenzielle, neue Nutzungspfade, die aber noch nicht etabliert sind. Als Beispiel können hier Kosmetik aus der Biogasanlage oder Mikroalgen als alternative Proteinquelle genannt werden. Für alle Akteure ergibt sich daraus ein wirtschaftliches Risiko, sich bioökonomisch umzustellen. In der Chemiebranche die in Sachsen stark vertreten ist, mag ein Top-Down-Ansatz eher funktionieren. Die Branche kann sich von sich heraus umstellen, weil es bereits eine starke Marktnachfrage gibt. Bei den Branchen, die wir zusammenführen möchten, ist das noch nicht der Fall. Und ja, das ist zeitintensiv.

Ließe sich das beschleunigen, wenn gleich große Unternehmen zur Werkstatt eingeladen würden?

Wir müssen erst einmal ein grundsätzliches Bewusstsein und ein Verständnis für die Bioökonomie-Transformation schaffen. Das geht am besten über Multiplikatoren und Netzwerke, die ihren Mitgliedern die wirtschaftlichen Perspektiven der Bioökonomie aufzeigen.  In den folgenden Werkstätten werden explizit die Unternehmen adressiert, um gemeinsam neue Wertschöpfungsketten zu entwickeln oder bestehende zu verlängern.

Frau Dr. Brödner, danke für das informative Gespräch.

Weitere Informationen zur Bioökonomie Werkstatt Sachsen finden Sie hier: https://www.dbfz.de/werkstatt

 

[1] https://www.ministerpraesident.sachsen.de/download/ministerpraesident/MISSION_SACHSEN_2038_Empfehlungsbericht_Innovationsbeirat_Sachsen_Endfassung_07.07.2021.pdf
[2] https://publikationen.sachsen.de/bdb/artikel/35302

Autor/Autorin

Redaktionsleiter Plattform Life Sciences at GoingPublic Media AG | Website

Urs Moesenfechtel, M.A., ist seit 2021 Redaktionsleiter der GoingPublic Media AG - Plattform Life Sciences und für die Themenfelder Biotechnologie und Bioökonomie zuständig. Zuvor war er u.a. als Wissenschaftsredakteur für mehrere Forschungseinrichtungen tätig.