Wasserstoff ist der zentrale Baustein einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft. Wie diese in Zukunft aussehen wird, hängt vor allem von politischen und rechtlichen Rahmensetzungen ab. Darüber hinaus sind aber auch „Transfer-Knoten“ entscheidend: Sektor-, Organisations- und Fachbereichsgrenzen überschreitende Kooperationen. Im „Mitteldeutschen Revier“ entwickelt sich mit den „House of Transfer“ gerade ein solcher Knoten entlang von „sieben Entwicklungs-Pfaden“. Von Manja Tschöpe und Dr.-Ing. Sylvia Schattauer, Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES
Wasserstoff wird als Rohstoff für die Defossilisierung der Industrie und somit als Baustein für die Klimaneutralität zukünftig eine zentrale Rolle spielen. Daraus werden sich enorme Bedarf ergeben. So ist beispielweise laut einer Greenpeace-Studie von 2020[1] im Jahr 2050 mit einem Bedarf in der chemischen Industrie zwischen 200 und 300 TWh Wasserstoff zu rechnen. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 lag die stoffliche Anwendung in ganz Deutschland laut der nationalen Wasserstoffstrategie[2] bei ca. 55 TWh. Dabei ist hervorzuheben, dass dieser Verbrauch größtenteils nur durch die Bereitstellung von grauem Wasserstoff gedeckt wurde, also von Wasserstoff, der von fossilen Energieträgern erzeugt wurde. Damit aber Wasserstoff eine echte Alternative zur bisherigen Energie- und Treibstoffversorgung wird, muss er künftig klimaneutral hergestellt werden, also auf erneuerbaren Energien und biogenen Einsatzstoffen basieren. Darüber hinaus muss er, lokal verfügbar und bedarfsdeckend, einen wesentlichen Baustein für die klimaneutrale Volkswirtschaft bilden. Wie dieses Ziel erreicht werden könnte, zeigt sich gerade in der Region um Leipzig und Halle, dem sogenannten „Mitteldeutschen Revier“.
Notwendig ist ein funktionierendes Gesamtsystem
Wie schwierig es ist, ein Wirtschaftssystem klimaneutral umzubauen, wird am Beispiel der chemischen Industrie in Mitteldeutschland deutlich. Hier wird ein etabliertes Gesamtsystem aus Stoff- und Energieverbünden sowie Kerntechnologien, wie Steam Reforming oder fossilen Raffinerieprozessen, betrieben. Bei der Transformation dieses Systems reicht es nicht aus, allein fossile Technologien durch erneuerbare zu ersetzen. Es braucht schlussendlich wieder ein funktionierendes Gesamtsystem, in dem Nebenflüsse genutzt und Effizienzen maximiert werden. Zudem erfolgt diese Transformation im internationalen Wettbewerb. Um eine Deindustrialisierung zu vermeiden, braucht es einen entsprechenden Rahmen, der den regionalen Umbau wirtschaftlich macht. Es gilt starke regionale Unterschiede zu vermeiden und bei der Transformation auch die ansässigen Stakeholder effektiv mit einzubinden. Dafür notwendig sind mehr als technologische Lösungen.
Transformation braucht mehr als technologische Innovationen
Beim Übergang zu grünen Wasserstofferzeugungstechnologien, der entsprechenden Skalierung für den großtechnischen Einsatz und den Aufbau von entsprechenden Infrastrukturen, braucht es vor allem eines: Zeit. Viele Ansätze, Ideen und Technologien sind bereits vorhanden, diese müssen nun jedoch schnell für den Markthochlauf von Wasserstoff vorbereitet werden und unter den passenden Rahmenbedingungen zum Einsatz kommen. Da die Zeit jedoch knapp ist, fällt vor allem dem Wissens- und Technologietransfer eine besondere Rolle als „Beschleuniger“ zu. Die enge und kontinuierliche Vernetzung, der rege Austausch von Wissen, Erfahrungen und Expertise sowie die stetige Weiterentwicklung von Kompetenzen hilft insbesondere jungen sowie kleinen und mittleren Unternehmen dabei wettbewerbsfähig zu bleiben.
Auch für etablierte und große Unternehmen ergibt sich darüber die Möglichkeit, mit Vertreter*innen aus anderen Sektoren, aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in den Austausch zu kommen. Durch die Kommunikation mit Expert*innen aus unterschiedlichen Fachbereichen können so neue Ideen und innovative Ansätze zur Überwindung der bestehenden Herausforderungen entstehen.
Wissens- und Technologietransfer aus der Forschung heraus
Wissens- und Technologietransfer hilft dabei enorm, die Kommunikation zwischen Industrie, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft in konkrete Bahnen zu lenken und dabei die Interessen aller zu berücksichtigen. Insbesondere die Forschung trägt hier eine große Verantwortung. Denn dort werden viele Themen tagtäglich bearbeitet, die als Enabler für die wirtschaftlichen Aktivitäten dienen und bei der Bewältigung von Herausforderungen unterstützen können. Insbesondere bei einem so elementaren Ziel, wie der Erreichung der Klimaneutralität, das auf vielen verschiedenen Wegen erreicht werden kann, kommt der Forschung die Rolle eines Leuchtturms zu – durch sie sollten verschiedene Möglichkeiten in Technologie und Prozessen aufgezeigt werden.
Die sieben Pfade des Transfers
Für einen gelingenden Transfer aus der Wissenschaft bieten sich sieben Pfade an: 1. Ausgründungen, 2. Infrastrukturdienstleistungen, 3. Lizenzierungen, 4. Normung und Standardisierung, 5. Transfer über Köpfe, 6. Vertragsforschung und 7. Wissenschaftskommunikation. Über Ausgründungen, Lizenzen, Normen und Standards kann das erworbene Wissen direkt in die wirtschaftlichen Aktivitäten überführt werden und einen wichtigen Beitrag zur Wertschöpfung und Qualitätssicherung der regionalen Stakeholder leisten. Über Infrastrukturdienstleistungen und Vertragsforschung werden anwendungsnahe Projekte gemeinsam durch Wirtschaft und Wissenschaft umgesetzt. Vorhandene Infrastruktur umfasst dabei Anlagen, Ausstattung oder Prozesse, durch die gemessen, geprüft und simuliert werden kann. Ein Beispiel dafür ist das Hydrogen Lab in Leuna, eine Testinfrastruktur für Elektrolyseure. Durch diese gemeinsamen Projekte unter Nutzung bestehender Infrastruktur können Technologien und Komponenten auf die Marktreife vorbereitet werden. Aber auch Fach- und Führungskräfte können dort ausgebildet werden. Dieser „Transfer über Köpfe“ beschreibt Aus- und Weiterbildungen, über die ein großer Teil an Wissen transferiert wird. Um das zielführend zu gestalten, sollte der Transfer modular auf die jeweiligen Bedarfe zugeschnitten sein sowie nah an Praxis und Anwendung erfolgen. Schlussendlich kann durch den Pfad der Wissenschaftskommunikation, ohne größere Bildungsmodule zu benötigen, komplexe Forschungsthemen allgemeinverständlich und faktenbasiert erläutert werden. Diesem Pfad kommt eine besondere Bedeutung zu, da er es ermöglicht zielgerichtet Politik und Gesellschaft zu involvieren und zu informieren.
Wissenstransfer muss einen Mehrwert bieten
Der anwendungsnahe Wissens- und Technologietransfer aus der Forschung heraus ist nur ein Baustein bei der Unterstützung der Transformation. Viele Ideen und Technologien gibt es bereits, auch außerhalb der Wissenschaft. Oftmals ist es jedoch schwer, einen Überblick zu behalten und die entsprechende Ansprechperson für das eigene Anliegen zu finden. Hilfreich sind zentrale Anlaufstellen, die Orientierung und Transparenz geben können. Um einen wirklichen Mehrwert zu bieten, sollte Wissenstransfer also mehr leisten, als innovative Technologien und Prozesse in die Wirtschaft zu überführen. Es braucht ein spezifisches Dienstleistungsangebot, das auf die Bedarfe aus dem Wissensdreieck aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zugeschnitten ist. Die zentralen Anlaufstellen sollten als Mittler in diesem Dreieck agieren. Dafür benötigt es einen ganzheitlichen Marktüberblick über die sich verändernden Wertschöpfungsketten, um zukünftige Entwicklungen und deren Auswirkungen abschätzen zu können. Dies mindert das wahrgenommene Risiko der Akteure und hilft dabei die anstehende Transformation der regionalen Industrie anzugehen und damit auch die Wirtschaftskraft dauerhaft zu stärken.
Dem Transfer ein Zuhause geben
Im „Mitteldeutschen Revier“ entsteht solch eine zentrale Anlaufstelle mit dem House of Transfer. Damit wird das Ziel verfolgt, den regionalen Akteuren und denen, die zukünftig in der Region aktiv werden wollen, die wirtschaftliche Entfaltung so leicht wie möglich zu machen: durch Vernetzung und Bereitstellung transparenter Informationen. Basierend auf Daten, über die sich entwickelnden Sektoren in dem Revier sollen Aussagen über zukünftige Markttrends und zukunftsfähige Technologien herausgearbeitet und für Stakeholder aufbereitet werden. Die mit der Bündelung von Fachwissen einhergehende höhere Transparenz hilft bei der Vermeidung von teuren Doppelstrukturen und hebt Synergien z. B. in der Auslastung von bestehender Infrastruktur.
Dieser Transferknoten leistet genau das, was die Kernaufgaben von Wissens- und Technologie sind: die Einbindung aller Akteure, um gemeinsam das große Ziel zu verfolgen: die Etablierung einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft.
[1] Bukold, S., Huneke, F., Claußner, M. (2020). Grün oder blau? Wege in die Wasserstoff-Wirtschaft 2020 bis 2040.
[2] Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) (2020). Die Nationale Wasserstoffstrategie.