Bildnachweis: TVM Capital Life Science.
TVM Capital Life Science hat den bislang größten Venture-Capital-Fonds in seiner Firmenhistorie geschlossen. Laut Geschäftsführer Dr. Hubert Birner zieht der zunehmende Reifegrad der Biotechbranche immer mehr Investoren an.
Plattform Life Sciences: Herr Dr. Birner, TVM Capital Life Science hat gerade 478 Mio. USD für den Fonds TVM Life Science Innovation II eingesammelt. Sind Sie selbst von diesem Mittelzufluss überrascht?
Dr. Birner: Überrascht hat es uns schon. Wir hatten uns die Marke 350 Mio. USD zum Ziel gesetzt und hätten am Ende noch mehr einnehmen können. Auf der Schlussgeraden sind uns beim Fundraising die wieder steigenden Infektionszahlen mit COVID-19 in die Quere gekommen. Etliche potenzielle Investoren wollten vor der Anlageentscheidung noch persönliche Meetings – und die konnten nicht mehr stattfinden.
Was hat sich im Vergleich zum letzten Closing eines TVM-Fonds im Jahr 2012 verändert?
Vor allem in den USA sind neben dem Großteil der bereits im TVM Life Science Innovation I investierten Gesellschaften neue Investoren dazugestoßen. Wir haben jetzt viele institutionelle Investoren und Family Offices, die aufgrund des in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Renditepotenzials der Biotechindustrie zum ersten Mal signifikant im Sektor Life Sciences investieren. Unser Partner, die Investmentfirma OCP, hat uns dabei in den USA mit etlichen Investoren zusammengebracht, die wir noch nicht kannten.
Ist der globale Kampf gegen COVID-19 ein Katalysator für die Finanzwelt, der mehr Investitionen in medizinische Innovationen begünstigt?
Wir sehen in der Tat ein gestiegenes Interesse von Generalisten und Family Offices für VC-Investments in Life Sciences. Das zeigt sich darin, dass in den letzten neun Monaten in den USA eine Rekordzahl an IPOs und Zweitnotierungen erfolgreich durchgeführt wurde. Derselbe Trend vollzieht sich etwas zeitversetzt bei privaten Finanzierungen – und zwar nicht nur in den USA, dem mit Abstand größten Kapitalmarkt für die biopharmazeutische Industrie, sondern auch in Europa und Deutschland. Die Coronapandemie gibt dieser Entwicklung einen zusätzlichen Schub.
Bedeutet das: COVID-19 wird die Life-Science-Industrie auch in Europa und Deutschland weiterbringen, weil sich die Investorenbasis erweitert?
Es wird mehr VCs für Deutschland und mehr Geld für Frühfinanzierungen geben, aber der Finanzplatz USA bleibt ganz klar die wichtigste Drehscheibe für die Gesundheitsbranche. Weil Europas Börsenplätze fragmentiert sind, ist die Nasdaq ein Magnet für Life-Science-Firmen, die ein IPO planen. Anders sieht es bei Privatfinanzierungen aus, wo ich in Zukunft auch in Europa wieder große Finanzierungsrunden erwarte.
Bis zu 60% des gezeichneten Kapitals in Ihrem Fonds sollen in „projektfokussierte Firmen“, kurz PFCs, fließen. Wie entstand das Konzept?
Vor mehr als zehn Jahren, als es für VCs wie uns kaum mehr möglich war, Firmen mit Phase-II-Projekten in Richtung Marktreife zu finanzieren, haben wir uns in der Softwarebranche umgesehen. Daraus entstand die Idee Projektfinanzierung. Dabei finanzieren wir als Mehrheitsinvestor Gesellschaften, die in der Regel nur ein Molekül mit hoher Kapitaleffizienz und Renditeerwartung von der Präklinik bis zur Phase IIa entwickeln.
Solche „One-Trick-Ponys“ sind wegen des hohen Risikos des Scheiterns in der Frühentwicklung bei Investoren eigentlich verpönt.
Aber wir als TVM Capital Life Science können hier sehr spannende präklinische Projekte weiterfinanzieren, die bei anderen biopharmazeutischen Firmen nicht in der ersten Reihe stehen. Ausgewählt werden diese Projekte über die Due Diligence des Hauptinvestors, also uns. Der Fokus liegt auf Kandidaten aus der Onkologie, dem zentralen Nervensystem sowie den Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen – Indikationen also, in denen marktreife Produkte ein Blockbusterpotenzial für die Pharmaindustrie haben.
Wie funktioniert die Arbeitsteilung?
Die CEOs und CFOs sind auf Teilzeitbasis nur für den Zeitraum der Projektarbeit tätig. Entwickelt wird das Projekt mit dem Dienstleister Chorus, einer 100%igen Tochter unseres Partners Eli Lilly. Der Vorteil: Die Firmen sind extrem kapitaleffizient aufgestellt und werden von uns in Tranchen finanziert. 80% des Kapitals gehen in das Projekt und nur 20% fallen als Betriebskosten an. Der Fokus ist also umgekehrt wie bei den meisten Biotechs. Unser Ziel ist es, mit möglichst wenig Kapital zum Exit zu kommen.
Welche Exit-Optionen favorisieren Sie mit dem neuen Fonds?
Bei den projektfinanzierten Firmen ist es eindeutig der Verkauf. Eli Lilly hat eine für den Fonds attraktiv gestaltete Kaufoption zu „Fair Market Value“, also marktorientierten Exit-Bewertungen. Nimmt unser Partner dieses Angebot nicht wahr, gehen wir auf andere Interessenten zu. Die Variante Börsengang kommt primär für die zehn bis 15 Spätphase-Firmen infrage, in die wir investieren wollen.
Was sind die Auswahlkriterien?
Wir sind absolut opportunistisch. Infrage kommen Firmen, die sehr marktnah sind und eventuell schon mit zugelassenen Produkten Erlöse generieren. Ein sehr gutes Beispiel ist die Rostocker Firma CENTOGENE, ein Marktführer für die Identifikation von seltenen genetischen Erkrankungen, der 2020 auch COVID-19-Testsysteme auf den deutschen Markt gebracht hat. Wir sehen uns aber auch nach Firmen aus der Medizintechnik um, die bereits in einem Markt zugelassene Produkte haben, aber den Markteintritt in Nordamerika oder in Europa noch finanzieren müssen.
Welche grundlegenden Veränderungen erwarten Sie auf Sicht der nächsten 24 Monate für die Branche?
Die personalisierte Medizin wird weiter an Bedeutung gewinnen – in der Pharmakologie ebenso wie in der Diagnostik, der digitalen Datenerfassung und dem Patientenzugang. Zudem sehen wir eine Renaissance von Gesundheitsthemen für ältere Patienten. Alle diese Faktoren werden wir in unserer Portfoliostrategie berücksichtigen.
Herr Dr. Birner, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Stefan Riedel.
ZUM INTERVIEWPARTNER
Der promovierte Veterinärmediziner Dr. Hubert Birner ist seit 2000 Investment Manager, Managing Partner und Geschäftsführer der in München und Montreal ansässigen TVM Capital Life Science. Er arbeitete zuvor in leitenden Funktionen bei McKinsey Deutschland und Zeneca Agrochemicals.