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Plattform Life Sciences: Herr Dr. Ho, Sie sind seit rund einem Jahr CEO der Medigene AG. Was hat Sie bewogen, dieses Amt zu übernehmen und wie fällt Ihr Fazit bis heute aus?

Dr. Ho: Ich war sehr beeindruckt von der Qualität und Tiefe der immunologischen und krebsbiologischen Forschung bei Medigene, die über Jahrzehnte hinweg zunächst in vielen renommierten akademischen Einrichtungen auf der ganzen Welt aufgebaut wurde, bevor sie von Medigene fortgesetzt wurde. Medigene ist eindeutig Pionier bei der Entwicklung von T-Zellrezeptor-basierten Krebstherapien, den sogenannten TCR-T-Therapien. Die Entwicklung Medigenes leistungsstarker End-to-End (E2E)-Technologieplattform war und wird auch weiterhin entscheidend sein, um einzigartige und differenzierte TCR-Therapien gegen solide Tumorerkrankungen mit hohem medizinischen Bedarf zu entwickeln.

Dr. Selwyn Ho, Medigene AG.

Unsere innovative End-to-End (E2E)-Technologieplattform besteht aus mehreren kombinierbaren Werkzeugen. Mit diesen ermöglichen wir es den T-Zellen, Tumorzellen optimal und auf möglichst sichere Weise anzugreifen und zu zerstören und die immunsuppressive Mikroumgebung des Tumors zu überwinden. Dadurch bleiben die T-Zellen länger aktiv und können ein Zurückkehren von Tumorzellen verhindern. Die Plattform umfasst zudem verschiedene Technologien, um die Effizienz des Produktentwicklungsprozesses zu verbessern.

Unsere starken Partnerschaften mit anderen Unternehmen im Bereich der Präzisionsonkologie, wie z. B. 2seventy bio, und zuletzt im Jahr 2022 die neue Zusammenarbeit mit BioNTech, aber auch die Ergebnisse unserer positiven klinischen Phase-1-Studie bei hämatologischen (Blut-)Krebserkrankungen haben den eindeutigen Wert unserer E2E-Technologieplattform bestätigt.

Worin unterscheidet sich die Strategie von Medigene von anderen Unternehmen und an welchem Punkt der strategischen Entwicklung steht Medigene heute?

Unsere Strategie beruht auf der Entwicklung von personalisierten T-Zell-Rezeptor-basierte T-Zell-Therapien, oder kurz TCR-T-Therapien, gegen solide Tumoren. Wir unterscheiden uns von anderen Unternehmen dadurch, dass wir uns darauf konzentrieren, optimale TCRs als Grundlage für das effektivste Targeting von Krebszellen zu schaffen und diese TCRs dann in Zelltherapien zur Behandlung solider Tumore einzusetzen, wo der größte Bedarf bei Patienten besteht. Unser Ansatz ist ganzheitlich und konzentriert sich darauf, die Herausforderungen bei der Behandlung solider Tumore optimal zu bewältigen. Wir arbeiten dabei systematisch, um das Potenzial unserer TCR-T-Therapien in jedem Schritt der Arzneimittelentwicklung zu verbessern.

Die mit einem Umsatz von über 1,7 Mrd. USD im Jahr 2021 führende Klasse der personalisierten Zelltherapien, die CAR-T-Therapien oder Chimäre Antigenrezeptor-T-Zelltherapien, sind aktuell nur zur Behandlung von Blutkrebs zugelassen. CAR-Ts greifen ausschließlich Strukturen auf der Oberfläche von Krebszellen an. Allerdings wird nur ein kleiner Teil (25-30 %) der menschlichen Antigene auf der Oberfläche von Zellen exprimiert. Der Erfolg bei der Behandlung von soliden Tumoren, die die Mehrzahl der Krebsarten ausmachen, ist daher noch begrenzt. Darüber hinaus können CAR-T-Zellen schädliche Nebenwirkungen haben, da die angreifbaren Oberflächenantigene nicht nur auf Krebszellen, sondern auch auf gesunden Zellen zu finden sind.

TCR-T-Therapien dagegen sind in der Lage, sowohl Oberflächen- als auch intrazelluläre Antigene auf Krebszellen anzugreifen und können gegen hämatologische und solide Tumore eingesetzt werden. TCR-T-Therapien können somit gezielter eingesetzt werden und haben möglicherweise weniger Nebenwirkungen, da die Zielantigene so ausgewählt werden können, dass sie vorwiegend in Krebszellen exprimiert werden.

Zusätzlich rüsten wir unser TCR-T-Zellen mit weiteren Geschützen aus, um die immunsuppressive Tumor-Mikroumgebung zu überwinden und die Anti-Tumor-Aktivität unserer TCR-T-Zellen weiter zu steigern. Dies erreichen wir durch sogenannte Switch-Rezeptoren, wie den PD1-41BB-Switch-Rezeptor, der auf den PD1-PD-L1-Signalweg abzielt und als Ersatz für Checkpoint-Inhibitoren dienen kann oder unseren neu lizenzierten CD40L-CD28-Switch-Rezeptor.

Unsere E2E-Plattform ist ein zentraler Baustein für die Umsetzung unserer Vision, differenzierte TCR-T-Therapien für Patienten mit soliden Tumoren zu entwickeln. Sie ermöglicht es uns, den Wert von Medigene zu maximieren: Durch Aufbau einer eigenen Pipeline, Ausbau bestehender und potenzieller neuer Partnerschaften, sowie kontinuierliche Innovation unserer Plattformtechnologien. Wir arbeiten konsequent an der Umsetzung unserer Strategie und hoffen, in der zweiten Jahreshälfte 2024 die Genehmigung zu erhalten, um mit unserem Lead-Programm MDG1015 erste klinische Studien am Menschen durchzuführen.

Wie sieht die Entwicklungspipeline aus?

Unsere interne Pipeline wächst, und unser Hauptkandidat MDG1015 macht rasche Fortschritte in Richtung klinischer Studien. MDG1015 ist eine TCR-T-Therapie der dritten Generation, die auf das validierte Krebs-Hoden-Antigen NY-ESO-1 abzielt, in Kombination mit unserem PD1-41BB-Switch-Rezeptor, der die Wirksamkeit der T-Zellen durch Überwindung der immunsuppressiven Tumormikroumgebung erhöht. Unsere präklinischen Daten, die im April dieses Jahres auf der American Academy of Cancer Research (AACR) vorgestellt wurden, haben diese höhere Wirksamkeit gegenüber der alleinigen Behandlung mit einem TCR gegen NY-ESO-1 eindeutig gezeigt. Dass der PD1-PD-L1-Signalweg ein wichtiges Target ist, zeigen Antikörper-Checkpoint-Inhibitoren, z. B. Keytruda, sehr erfolgreich. Therapien gegen solide Tumore müssen gegen die Krebszellen hochwirksam sein und gleichzeitig die Tumormikroumgebung überwinden, um langfristig erfolgreich zu sein – und wir glauben, dass MDG1015 beides kann

MDG1015 durchläuft derzeit die Versuche, die für den Antrag auf Zulassung eines neuen Prüfpräparats, die sogenannte Investigational New Drug bzw. IND, und für die klinische Erprobung, die sogenannte Clinical Trial Application bzw. CTA, erforderlich sind. Unser Ziel ist es, die IND / CTA in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 zu erhalten.

Unser zweites TCR-T-Therapieprogramm für solide Tumore, MDG10xx, wird gegen mehrere, noch nicht veröffentlichte Zielmoleküle und unter Berücksichtigung mehrerer HLAs entwickelt. Wir gehen davon aus, dass wir den ersten TCR-Leitkandidaten im zweiten Halbjahr 2024 vorstellen können.

Medigene hat unlängst positive Daten einer klinischen Phase 1-Studie mit MDG1011 gegen Hochrisikoblutkrebs veröffentlicht. Wie zufrieden sind Sie mit den Daten und was sind die nächsten Schritte?

Wir freuen uns, dass wir mit den Ergebnissen dieser Phase-I-Dosis-Eskalationsstudie die Robustheit von MDG1011 und unserer TCR-T-Therapien im Allgemeinen sowie deren Herstellung validieren konnten. Die MDG1011 TCR-T-Präparate, die aus so stark vorbehandelten Patienten mit erheblicher Krankheitslast hergestellt wurden, wurden im Allgemeinen gut vertragen und die klinischen Ergebnisse weisen auf ein Potential von MDG1011 bei myeloischen Hochrisikoneoplasien hin.

Wie wir bereits angekündigt haben, prüfen wir trotz dieser vielversprechenden ersten Daten und im Zuge unserer Strategie, uns auf solide Tumore zu konzentrieren, sowie aufgrund des erheblichen Wettbewerbs bei der Behandlung von Blutkrebs, derzeit die Möglichkeit, MDG1011 für die weitere klinische Entwicklung zu verpartnern.

Stichwort Finanzierung: Die klinische Entwicklung ist bekannter Maßen sehr kostenintensiv. Wie ist Medigene hier aufgestellt? Sind beispielsweise Kapitalerhöhungen geplant?

Mit der beschleunigten Entwicklung von MDG1015 hin zum klinischen Studienantrag im Jahr 2024, werden unsere F&E-Ausgaben natürlich steigen. Auf Basis der der derzeitigen Planungen gehen von einem Cash-Reach bis Q4 2024 aus. Wir sind zuversichtlich, dass unsere Partnerschaften weiter voranschreiten und damit zusätzliche Meilensteinzahlungen und Einnahmen einbringen werden, die dann weitere Investitionen in unsere Forschungs- und Entwicklungsstrategie ermöglichen. Ungeachtet dessen ist die Biotechnologie eine kapitalintensive Branche, und wir möchten darauf vorbereitet sein, zusätzliches Kapital zu beschaffen und unseren Liquiditätsspielraum bis 2025 und darüber hinaus zu erweitern, und so sicherzustellen, dass wir den Wert unserer Plattform und Pipeline weiterhin maximieren können. Wenn sich das derzeitige schwierige makroökonomische und geopolitische Umfeld verbessert, wollen wir mögliche Optionen geprüft haben und bereit sein, eine Kapitalerhöhung durchzuführen, damit wir über ausreichend Kapital verfügen, um unsere mittel- bis langfristigen Unternehmensziele vollständig zu verwirklichen.

Herr Dr. Ho, haben Sie herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Das Interview führte Holger Garbs