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Die wohl größte Herausforderung für Krankenkassen im Umgang mit mobilen Gesundheitslösungen ergibt sich aus dem Thema Datenschutz. Zwar setzen sich inzwischen immer mehr Start-ups intensiv mit datenschutztechnischen Anforderungen auseinander. Doch in der Vergangenheit sind viele Projekte an eben dieser Hürde gescheitert. Auch Krankenkassen müssen den Umgang mit modernen Digital Health-Lösungen noch lernen. „Die Entscheidergeneration in den Krankenkassen ist nicht die klassische Nutzergeneration von Smartphones, Tablets und Co.“, mutmaßt Detlev Parow. Umgekehrt finden sich in den Reihen der Start-up-Gründer immer noch jene, die sich über die gesetzlichen Rahmenbedingungen, in denen sich eine GKV bewegen muss, nicht im Klaren seien. Schon sprachlich sei manche Barriere zu erklimmen, meint Parow. „Welcher Krankenkassen-Entscheider weiß, was sich hinter dem Begriff ‚Pitch‘ verbirgt?“ Auch präsentiert sich der Markt aus Sicht der Kassen noch zu unübersichtlich: Es wird viel erfunden, doch was davon ist wirklich neu? Welche Produkte lassen sich langfristig auf eine solide Basis stellen? Vor allem der Wert innovativer, digitaler Lösung müsse verstanden werden. „Wir müssen lernen, dieses Thema zu verinnerlichen“, fordert DAK-Experte Parow. „Wir müssen Formen finden, wie wir Start-ups aus dem Digital Health-Bereich unterstützen können und wie wir über den ersten Gesprächstermin hinauskommen“, so Parow.

Können Kassen Innovation?
Natürlich haben auch Start-ups das Interesse der Krankenkassen an modernen Digital Health-Lösungen erkannt, aber auch die Herausforderungen, die mit einer erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Kassen und Unternehmen verbunden sind. „Während Versicherte in vielen anderen Lebensbereichen durch digitale Angebote einen Mehrgewinn an Zeit und Komfort erfahren haben, hat sich das Nutzererlebnis in der Gesundheitsversorgung in den letzten Jahren wenig verändert“, meint Martin Rassl, Co-Founder von TeleClinic. „Die Gesundheitsversorgung ist ‚unterdigitalisiert‘.“ Seiner Meinung nach erhöhen Krankenkassen, die auf die veränderten Bedürfnisse eingehen und sich dementsprechend abgrenzen, nicht nur die Kundenzufriedenheit, sondern präsentieren sich für potenzielle Neukunden wesentlich attraktiver. „Zudem lassen sich mit E-Health-Lösungen Ineffizienzen im Status Quo des Gesundheitssystems beheben, was mit Kosteneinsparpotenzialen für die Krankenkassen einhergeht“, so Rassl. Zuweilen monieren Start-ups jedoch die mangelnde Organisation innerhalb der Kassen. In vielen Kassen ist bis heute niemand für das Thema „Innovation“ verantwortlich – Ausnahmen bestätigen die Regel. Schon werden Warnungen laut: „Kassen und Versicherungen werden sich schnell entscheiden müssen, ob sie das Thema „E-Health“ erst nehmen und dementsprechend Zeit und Geld investieren oder ob sie Gefahr laufen möchten, relevant im Kerngeschäft von jungen Unternehmen angegriffen zu werden, wie dies beispielsweise die Musikindustrie vor einigen Jahren erlebt hat – auch wenn das noch fern erscheinen mag“, meint Emil Kendziorra, Gründer und Managing Partner von Medlanes.

Können Start-ups Krankenkasse?
Umgekehrt müssen auch Start-ups lernen, mit den Anforderungen der Krankenkassen zurechtzukommen. Neben einem stabilen Geschäftsmodell bedarf es eines Verständnisses für den Gesundheitsmarkt und seiner Regeln. „Und man benötigt einen vergleichsweise langen Atem, um die Vertriebs- und Partnerschaftszyklen von großen Unternehmen durchzustehen“, bestätigt Kendziorra. E-Health-Start-ups müssen ein Produkt oder einen Service anbieten, der eine Win-Win-Situation für die Krankenkassen als Finanzierer und Ärzte und Patienten als Nutzer der Gesundheitsversorgung ermöglicht. „Auf diese Weise können durch eine Behebung der Lücken im ineffizienten Gesundheitssystem nicht nur der Nutzerkomfort gesteigert, sondern gleichzeitig auch Kosteneinsparpotentiale für die Krankenkassen realisiert werden“, ergänzt Martin Rassl, Head of Business Operations der TeleClinic. So könnten im Rahmen von Pilotphasen zukunftsorientierte, digitale Konzepte der Gesundheitsversorgung erprobt und im Verlauf dieser Phase angepasst werden. „Darauf aufbauend sind Geschäftsmodelle möglich, die von der kompletten Integration des Herstellers bis zur lizenzierten Dienstleistungserbringung eines Services reichen können“, meint Rassl. Hilfreich wären etwa Inkubatoren von Krankenkassen oder der Aufbau spezieller Innovationsabteilungen. „Es braucht ein externes Team, nicht an eine angegliederte interne Abteilung, welches vollständig operiert wie ein Start-up“, fordert Emil Kendziorra. „In vielen etablierten Unternehmen werden Innovationen nur halbherzig betrieben und man wundert sich nachher, warum nichts rausgekommen ist.“