Die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen inklusive der Zuzahlung der Versicherten sind im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Insgesamt lagen die Kosten in 2016 bei rund 38,5 Mrd. EUR, was einer Zunahme von 3,9% im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Parallel steig auch das Verordnungsvolumen, allerdings nur um 2,1%.
„2016 wurden mehr, aber vor allem auch teurere Arzneimittel verordnet. Hauptursache dafür war die überproportionale Kostensteigerung bei den patentgeschützten Wirkstoffen“, sagte Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe, Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports 2017 anlässlich der Vorstellung des Reports.
Trend zu hochpreisigen Arzneimitteln
Hauptkostentreiber waren fünf führende Indikationsgruppen, darunter vor allem Onkologika und Immunsuppressiva mit Ausgaben in Höhe von 5,83 Mrd. EUR (Onkologika) beziehungsweise 4,08 Mrd. EUR (Immunsuppressiva). Auch die Ausgaben für Antidiabetika, antithrombotische Mittel und Ophthalmika sind im vergangenen Jahr gestiegen. „Seit 2011 soll das AMNOG (Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz) übermäßige Kostensteigerungen durch neue Arzneimittel verhindern, wenn der Nutzen bewertet wird und die Arzneimittelpreise verhandelt werden“, so Ulrich Schwabe. Doch funktioniere dies bislang nicht. Hauptgrund sei die Tatsache, dass wichtige Teile des AMNOG durch die Bundesregierung wieder abgeschafft wurden. Ein wesentlicher Punkt war die Aufhebung der Bestandsmarktbewertung (14. SGB V-Änderungsgesetz im April 2014). Sie hätte jährlich eine Kostenentlastung von zwei Mrd. EUR erbracht.
Überteuerte Medikamente durch Patentschutz?
Vergleiche mit Arzneimittelpreisen in anderen europäischen Ländern belegen, dass patentgeschütze Medikamente in Deutschland zu überteuerten Preisen angeboten werden. Der Arzneiverordnungs-Report nennt eine Summe von 1,5 Mrd. EUR, die jährlich in Deutschland mehr ausgegeben werden, als in acht anderen europäischen Ländern. Dabei wurde gerade dieses Problem im AMNOG adressiert: Der Abgabepreis anderer Länder sollte bei der Preisverhandlung berücksichtigt werden. Überwiegend handelt es sich jedoch um Arzneimittel, die vor dem AMNOG auf den Markt kamen. Und genau deshalb dürfen sie in Deutschland immer noch mehr kosten, als sie wert sind.
„Patentgeschützte Arzneimittel sind in Deutschland besonders teuer. In Ländern wie Österreich oder den Niederlanden, deren Wirtschaftskraft mit Deutschland vergleichbar ist, sind die öffentlich bekannten Listenpreise etwa 20% günstiger als bei uns“, so Jürgen Klauber, ebenfalls Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK.
Problem der freien Preisbildung
Eine weitere Besonderheit des deutschen Arzneimittelmarktes sie die freie Preisbildung von Patentarzneimitteln im ersten Jahr nach der Markteinführung, unterstreicht Prof. Schwabe. Für dieses Privileg musste die GKV seit 2011 über 830 Mio. EUR mehr zahlen als nach Abschluss der Preisverhandlungen. „Das gibt es in keinem europäischen Land“, so Schwabe, „dass die Krankenkassen erst zahlen müssen und dann einen Preis verhandeln können.“ Das Problem sei seit langem bekannt und sollte ursprünglich auch im Arzneimittelversorgungs-Stärkungsgesetz (AMVSG) mit der Einführung einer Umsatzschwelle gelöst werden. „Aber auch dieser zaghafte Schritt ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wieder abgeschafft worden“, moniert Schwabe. Er verwies in diesem Zusammenhang auf das Präparat Tecfidera zur Behandlung der Multiplen Sklerose. Dieses kam in Deutschland mit einem 80% höheren Listenpreis als in den Niederlanden auf den Markt. Mehr noch: Die Nutzenbewertung ergab keinen Zusatznutzen. Nach einem Jahr akzeptierte der Hersteller schließlich eine Preissenkung um 42%.
Preistreiber Biologika
Weitere Preistreiber im Patentmarkt sind die gentechnologisch hergestellten Biologika. Von 2006 bis 2016 hat sich ihr Umsatz demnach auf 7,8 Mrd. EUR erhöht. Eine Abkehr vom Wachstumstrend ist nach Aussagen der Verfasser des diesjährigen Arzneiverordnungs-Reports nicht zu erwarten: Mittlerweile ist beinahe jeder dritte neue Wirkstoff im deutschen Markt ein Biologikum. Für sieben Biologika waren in Deutschland Ende 2016 Biosimilars zugelassen. Sie sind einem Biologikum strukturell ähnlich und üben die gleiche pharmakologische Wirkung im menschlichen Körper aus. „Biologika werden in den kommenden Jahren eine deutlich zunehmende therapeutische Bedeutung für den Arzneimittelmarkt haben. Aufgrund ihrer meist hohen Preise werden damit auch immer höhere Ausgaben verbunden sein. Durch die konsequente Verordnung von Biosimilars könnten mittelfristig beträchtliche Einsparungen für unser solidarisch finanziertes Gesundheitssystem erzielt werden, ohne dabei die Qualität der Versorgung mit Arzneimitteln in Deutschland zu beeinträchtigen“, erläutert Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Herausgeber des Arzneiverordnungs-Reports.
Fazit
In Deutschland werden patentgeschütze Medikamente zu erheblich höheren Preisen verkauft, als in anderen europäischen Ländern. Die Mehrkosten für die gesetzlichen Krankenversicherungen sind enorm. Erst nach dem Auslaufen von Patenten können die Preise durch das Aufkommen von Nachahmer-Medikamenten (Generika oder Biosimilars) deutlich fallen – letztlich zum Wohle des Patienten. Im nächster Zukunft wird dies vor allem auf einige Blockbuster-Medikamente aus dem Bereich der Onkologie und Rheumatologie zutreffen. Dies kann letztlich dazu führen, dass in der Behandlung vieler Krebsarten oder von rheumatischen Erkrankungen bewährte Therapien dem deutschen Gesundheitssystem zu erheblich niedrigeren Preisen und Kosten zur Verfügung stehen werden.
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