27 T I T E L T H E M A chungen. Bisher bediente sich weniger als die Hälfte der Unternehmen der maximal mög- lichen Frist der zwei vollen Tage. Redaktionelle Freiheiten wurden bisher kaum genutzt. Es wurden alle Fragen beantwortet, ledig- lich bei Doppelungen zusammengefasst. Dem von einigen Aktionären geäußerten Wunsch, dass die Vorstands- und Aufsichts- ratsreden vorab veröffentlicht werden soll- ten, entsprachen bis jetzt nur wenige Gesell- schaften. Man wolle so aktuell wie möglich die Reden unter den sich derzeit so schnell verändernden Rahmenbedingungen noch anpassen können. Diese Begründung dürf- te die Aktionäre kaum zufriedenstellen. Für weiteren Unmut sorgt die vielfach von Gesell- schaften genutzte verkürzte Einberufungs- frist für die virtuelle Hauptversammlung: Diese führt für die Aktionäre zu erheblichen Problemen bei der fristgerechten Anmeldung. Das durch die COVID-19-Gesetzgebung stark eingeschränkte Antragsrecht wird von den Gesellschaften unterschiedlich behandelt. Ein Teil lässt die Anträge gar nicht zu, der andere veröffentlicht diese und berück- sichtigt sie als „gestellt“, sofern der Antrag- steller ordnungsgemäß angemeldet ist. Aber auch bei dieser Lösung ermöglichen einige Emittenten die Weisungserteilung, andere hingegen nicht. Vor dem Hintergrund, dass diese Anträge nicht zur Abstimmung gelangen, könnte dies den Anschein von Pseudo-Aktionärs- freundlichkeit erwecken. Würde man diese Anträge auch als gestellt betrachten, wenn sie eine Chance auf eine Abstim- mung oder gar Mehrheit hätten? Vermutlich wird die Saison 2020 auch die mit den meisten Widersprüchen zur Be- schlussfassung sein. Nach unserer Beob- achtung gibt es keine Gesellschaft, die nicht Beschlussfassungswidersprüche erhalten hätte. Für manche Unternehmen sind das die ersten Widersprüche ihrer Firmenge- schichte; außergewöhnliche Beschluss- fassungspunkte braucht es dazu nicht. Ob die Widerspruchsmöglichkeit nur aufgrund der einfachen elektronischen Handhabung im Portal so aktiv genutzt wurde oder ob dies auch die meistbeklagte HV-Saison seit Langem sein wird, bleibt abzuwarten. Virtuelle HV sehr ereignisarm Die Kommunikations- und Marketingabtei- lungen regten an, multimediale Möglichkei- ten bei virtuellen HVs umfassender zu nutzen; die Rechts- und Investor-Relations-Abtei- lungen tendierten eher zu Sachlichkeit und klassischen Formaten. Bisher lässt sich feststellen, dass der Inhalt und nicht das multimediale Event im Fokus standen. Die Bühne war, wie bei Presse- oder Analystenveranstaltungen, meist nur mit drei bis vier Personen (Versammlungs- leiter, Notar und ein bis zwei Vorstände) besetzt. Allerdings waren auch virtuelle Veranstaltungen mit knapp 30 Personen auf der Bühne zu beobachten, bei denen der komplette Vorstand und Aufsichtsrat anwesend waren. Prinzipiell ist festzustel- len, dass eine große Anzahl von Personen auf der Bühne ohne aktive Funktion bei der virtuellen HV etwas befremdlich wirkt. Vielzählige Aktionäre beklagen bei der aktuellen Gestaltung den Verlust ihrer Rechte sowie die begrenzten Möglichkei- ten der öffentlichen Einflussnahme. Darüber hinaus fehlen den virtuellen Hauptver- sammlungen auch Elemente wie Span- nung, Spontaneität und Überraschung. 2021 – zurück in die Vergangenheit? Die Gesellschaften finden zunehmend Ge- fallen an dem neuen Format. Das ist aus Unternehmenssicht nicht überraschend: Die virtuelle Hauptversammlung auf Basis der COVID-19-Gesetzgebung erleichtert Emittenten die Planung sowie die Fragebe- antwortung und gewährt darüber hinaus eine weitgehende Rechtssicherheit. COVID-19-Gesetze sind zeitlich befristet. Insofern muss man in der nächsten Saison – vorausgesetzt, Großveranstal- tungen sind wieder erlaubt – zur Präsenz- veranstaltung im alten Rechtsrahmen zurückkehren. Dass das bisherige Set-up von Hauptversammlungen reformbedürftig ist, darüber sind sich die Unternehmen und deren Aktionäre prinzipiell einig. Letz- tere begrüßen die Möglichkeit der Online- teilnahme – jedoch nur unter der Wahrung der Aktionärsrechte. Die Forderungen der Aktionäre inkludieren interaktive Frage-Antwort-Möglichkeiten, ein Rederecht wie auch die Antragsrechte. Eine hybride Hauptversammlung, die den Onlineteilnehmern Frage- und Antrags- rechte gewährt, findet bei den Aktionären und deren Vertretern durchaus Zustimmung. Spannend wird, ob man Redebeiträge on- line zulässt – und wenn ja: wie man damit umgeht, wenn der Redner verbotene „Uni- formen“ trägt oder unbekleidet ist, um nur einige potenzielle Probleme zu nennen. Bei einer Präsenzveranstaltung bestehen hierfür bewährte Sicherheitskonzepte. Der Gesetzgeber muss einen Mittelweg finden, der die Rechteausübung auch vom heimischen PC aus ermöglicht, ohne dabei die rechtliche Veranstaltungssicherheit in- frage zu stellen. Dabei muss geklärt werden, unter welchen Bedingungen eine virtuelle Fragemöglichkeit, ggf. sogar ein Rederecht, durch die Versammlungsleitung entgegen- genommen aber auch abgelehnt werden kann, ohne dabei „Klassenunterschiede“ zwischen präsent oder online teilnehmen- den Aktionären zu schaffen. Zeitlich wie inhaltlich unplanbare und unbeherrschba- re Hauptversammlungen würden insge- samt für keinen Aktionär einen Zugewinn darstellen. Der bestehende Rechtsrahmen ermöglicht eine hybride Hauptversammlung, aber diese ist – wie Unternehmensvertreter zu Recht zu bedenken geben – mit erhebli- chen rechtlichen Risiken verbunden. Inso- fern wird es spannend, zu beobachten, ob und wann es zu einer Reform kommt. HV MAGAZIN 02/2020