19 P R A X I S sieht hierbei drei Kategorien vor: Nachfra- gen, Fragen zu kurzfristig bekannt gewor- denen Aspekten und sonstige Fragen zur TO, sofern zeitlich möglich. Digitaler Wortmeldetisch Dies bedarf einerseits eines Prozederes, um die Wortmeldungen aufzunehmen und zu strukturieren, und andererseits eines Prozesses, um die technischen Anforderun- gen für die Zwei-Wege-Kommunikation zu prüfen. Hierbei kommt dem Versammlungs- leiter eine zentrale Rolle zu. Einerseits geht es darum, dass die verschiedenen Aktionärs- gruppen gleichwertig an der HV partizipieren können, und andererseits gilt es, nur so viele Wortmeldungen anzunehmen, dass die Ver- sammlung in angemessener Zeit rechtssi- cher geschlossen und die Beschlüsse gefasst werden können. Problemstellungen, die aus der Präsenz-HV bekannt sind, wo sich am Wortmeldetisch auch mal eine Schlange bildet und die Rednerliste geschlossen wer- den muss, lassen sich auch im Portal abbil- den. Wegen des interaktiven Verlaufs ist der Notar mutmaßlich technisch einzubinden, da er neben allgemeinen Widersprüchen auch als nicht-beantwortet gerügte Fragen aufnehmen können muss. Anträge – Zufallsmehrheiten Neben vorab anzukündigenden Gegenanträ- gen/Wahlvorschlägen, können diese ad hoc gestellt werden. Hinzu kommen Geschäfts- ordnungs- oder Sonderprüfungsanträge. Wir bereiten uns mit unseren Kunden bereits seit mehreren Jahren hierauf vor, sodass es gute technische und organisatorische Hilfsmittel gibt, mit Anträgen in der HV umzugehen und Zufallsmehrheiten zu vermeiden. Dies lässt sich ohne Weiteres auf die vHV übertragen. Teilnahme der Aufsichtsräte Der RegE sieht für die Aufsichtsräte eine Teil- nahme am Versammlungsort vor. Allerdings kann die Teilnahme auch im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen, sofern die Satzung dies vorsieht. Drei Jahre vHV haben gezeigt, dass ein schlankes Bühnendesign eine bewegte Kameraführung zulässt und sich die zugeschalteten Personen gut in einer Übersicht einblenden lassen. Und ge- rade bei international besetzten Gremien ist von Vorteil, dass die Terminfindung für die HV einfacher ist und sich Aufwendun- gen für die An- und Abreise deutlich redu- zieren (vgl. §118 Abs. 3 AktG und §118a Abs. 2 AktG-E). Mit dem RegE hat sich die Bundesregie- rung für die neue vHV fast gänzlich aus dem Fundus des deutlich reformbedürf- tigen Formats der Präsenz-HV bedient, das seit Jahrzehnten bestens bekannt ist und seit Langem kritisiert wird – denn der mögliche Missbrauch der Rechte von ein paar Aktionären, die in der Regel nur wenige Aktien vertreten, zwingt die Emit- tenten dazu, bei der Gestaltung der HV Rechtsrisiken weitestmöglich auszu- schließen. Der gewünschte Dialog und der Austausch von Argumenten sind somit gehemmt. Hinzu kommt, dass gerade internationale Investoren während der HV nicht aktiv dabei sind, sondern ihre Entscheidung weit im Vorfeld getroffen haben. Die HV ist ein wesentliches Organ der Gesellschaft und ihr werden mehr und mehr Rechte und Pflichten zugewiesen. Es gilt, das Wesen der HV mit den Interessen- gruppen neu zu definieren und daraufhin ein einheitliches Regelwerk für die Präsenz- HV und die vHV gleichermaßen zu erarbei- ten. Hierbei muss auch das Beschluss- mängelrecht betrachtet werden. Es ist aber noch unklar, wie wir aus dem Dilemma der polarisierten Meinungen der Interes- sengruppen zur Umsetzung kommen. Erst eine globale Pandemie hat diese Erkenntnis befördert und die vorher bei Emittenten unbeliebten Onlinekomponente zu deren Nummer eins gemacht. Bis dahin bilden die Präsenz-HV mit der Möglichkeit der Onlineteilnahme sowie die virtuelle HV zwei Alternativen, um in Abwä- gung gesellschaftlicher Belange einerseits und der pandemischen Entwicklung oder anderer unvorhergesehener Ereignisse andererseits für die nähere Zukunft gerüstet zu sein. Auch wenn Festivals, Konzerte und Großveranstaltungen suggerieren, dass die Pandemie vorbei ist, so erleben wir gerade, dass eine Sommerwelle durchs Land rauscht. Emittenten, die sich frühzeitig für die Abhaltung ihrer HV in Präsenz festlegen, sollten sich daher gedanklich damit beschäf- tigen, wie eine „neue“ vHV für sie potenziell handhabbar wäre. Die Existenz des künftigen § 118a AktG wird eine „rettende“ Notfall- gesetzgebung überflüssig machen. Um die vHV fortzuentwickeln, müssen wir alle mit den Möglichkeiten Erfahrungen sammeln, die uns der Gesetzgeber ein- räumt. Es wäre eine vertane Chance, wenn die vHV nach ihrem Anschub durch die Pandemie zukünftig nur in seltenen Fällen genutzt würde. Technisch sind alle Anforderungen an die „neue“ vHV umsetzbar. Ein Zurück zur Prä- senz-HV aus 2019 erscheint aus vielerlei Gründen problematisch. Dazu tragen u.a. Personalengpässe bei – denn nicht nur hoch spezialisierte Stenografen, sondern auch viele andere Dienstleister sind ein rares Gut geworden, wie die Berichterstat- tung zur Abfertigung an Flughäfen belegt. Auch werden z.B. Transportkosten sich deutlich steigern. Es wird wie so oft auf den Gestaltungswillen der Emittenten ankommen, die die alte Welt hinter sich lassen wollen. Aber ... ... den Mutigen gehört die Zukunft! HV MAGAZIN 02/2022